Gudrun, haben wir ‚Zoom‘ oder wie das heißt?!“ Hinter jedem erfolgreichen Mann, so heißt es, steht eine starke Frau, und hinter Peter Mathis steht in diesem Moment mal wieder seine Lebensgefährtin Gudrun Fenkart. So kann ich es unscharf am Display erkennen, während wir ein paar dieser Videocallprogramme durchprobieren, die seit Corona gang und gäbe sind. Und von denen der Meister, man muss es leider sagen, absolut keine Ahnung hat: Er schimpft lauthals, während das Bild immer wieder abschmiert. Während Peter Mathis immer berühmter wird, führt Gudrun Fenkart ihm Buchhaltung, Termine, Büro. Ihre Arbeitsweise ist dabei ähnlich ruhig und konzentriert wie seine, dazu kommt die Entschlossenheit, im Hintergrund zu bleiben: Als ich Peter vor ein paar Jahren fürs Bayerische Fernsehen porträtierte und die gedrehten Szenen mit Gudrun herausfielen – so dass sie überhaupt nicht zu sehen war –, lud sie mich aus Dank zum Essen ein. Und als er damals relativ spät von der analogen auf die digitale Fotografie umstieg, hat sie ihn ermutigt und unterstützt.
Gute Zeiten für alpine Fotografie
Diese unglaublichen Bilder aber, die macht Peter Mathis allein, so war es immer und so wird es immer bleiben. Alles beginnt – was für ein peinlicher Satz, aber so war es eben – mit der Liebe zu den Bergen: „Beim Klettern hab ich immer eine Kamera mitgenommen, weil ich das so sehr geliebt habe, dass ich es abbilden wollte. Aber wenn dann endlich das Licht gepasst hat für ein perfektes Bild, dann hatte ich eigentlich nie die Zeit, das so zu machen, wie ich das im Kopf hatte. Und irgendwann bin ich nicht mehr klettern gegangen und hab dabei fotografiert, sondern ich bin fotografieren gegangen und geklettert wurde fürs Bild.“ Die Entscheidung, das jetzt im Hauptberuf zu machen, trifft der Autodidakt 1986 mit Mitte zwanzig und hängt den Beruf als Schreiner an den Nagel. Es sind gute Zeiten für alpine Fotografie, das Sportklettern boomt, es entstehen neue Märkte, neue Zeitschriften, dazu Vorträge als Zubrot. Mathis tut sich mit dem nervenstarken Vorarlberger Spitzenkletterer Beat Kammerlander zusammen, in dessen Neutouren im Rätikon atemberaubende Bilder entstehen. Von der Zusammenarbeit profitieren beide Seiten – eine Symbiose, wie sie damals auch seine Fotokollegen Uli Wiesmeier mit Stefan Glowacz und Heinz Zak mit Alexander Huber eingingen.
Dennoch verlagert sich die Arbeit langsam in die kalte Jahreszeit, Snowboarden boomt noch mehr als das Freiklettern. Und vor allem ist es – fotografisch betrachtet – das interessantere Sujet: „Die ganze Kletterei ist ja ziemlich langsam und statisch. Wenn beim Snowboarden der Spray aufstaubt, dann dauert das nur wenige Sekunden und währenddessen verformt sich die Wolke und der Akteur bewegt sich weiter. Das musst du alles antizipieren.“ Er jettet mit der Kamera um die Welt, besonders oft und gern mit der oberbayerischen Snowboardlegende Peter Bauer, schießt in Alaska und Japan zahllose Coverbilder, gewinnt zahlreiche Preise, unter anderem den „Hasselblad Master“, eine der begehrtesten Auszeichnungen in der Welt der professionellen Fotografie. 2006 erscheint sein erstes Buch für die Ewigkeit: „Freeride“. Hat er sich bis jetzt – in gewissem Sinne – noch im Special-Interest-Sektor des Bergsports bewegt, ist „Freeride“ klammheimlich schon zum halben Landschaftsbildband geworden. Und das wissende Warten dort oben im Gebirge, das geduldige Lauern auf den perfekten Moment, es zieht ihn immer mehr in seinen Bann. Er beginnt, seine irre schwere und sperrige Fachkamera hinaufzuschleppen: Großbildformat 9 x 12 Zentimeter, mit Ziehharmonikagehäuse und Vorhang wie in alten Filmen, am liebsten mit Tourenski. Ganze zwölf Mal an einem ganzen Tag kann er dann auf den Auslöser drücken, mehr nicht.
Allein unterwegs, einsam am Berg warten auf den perfekten Moment, es ist für ihn, der jede Ablenkung, jedes unnütze Detail verabscheut, die reine Erlösung. Minutiös vorbereitet ist allein schon die Brotzeit für oben, das Brot natürlich selbst gebacken oder aus einer ganz bestimmten Bäckerei. Nach festem Ritual wird es feierlich verzehrt: Erst beißt er rundherum die Rinde ab, dann das Weiche in der Mitte. Dazu kommen guter Kaffee in der Thermoskanne und viel, viel Geduld. Manchmal hat er vorher im Kopf, wann es so weit sein wird, wann die Wolken das erhoffte Gegenlicht bekommen, oft genug kommt es mit dem Wetter aber anders, konstant allein bleibt der Anspruch: „Sobald ich den Rucksack aufnehme, bin ich auf einer Mission. Mein Ziel ist nicht, ein gutes Bild zu machen, gute Bilder gibt es ja schon wirklich viele. Mein Ziel ist immer das außergewöhnliche Bild.“ Wie bei allen großen Kunstschaffenden spiegelt das Werk seinen Schöpfer wider, und Mathis ist nun mal einerseits ein extrem ruhiger und friedfertiger Mensch, der gern und häufig, aber leise lacht. Und auf der anderen Seite ein extremer Perfektionist.
Das ist das Angenehme, wenn man mit ihm zu tun hat: Andere derart Getriebene sind oft ungeduldig, bisweilen aggressiv – Mathis weiß genau, dass bedeutend weiter in die Sphären der Vollkommenheit vorstößt, wer besonnen ans Werk geht. Sein Van, beladen mit Ski- und Fotoequipment, ist zu jedem Zeitpunkt aufgeräumt und sauber wie ein Operationssaal zu Schichtbeginn. Wenn er sein Atelier betritt – zugleich die Werkstatt, in der er seine Bilder rahmt –, drückt jeder Handgriff Frieden und Geradlinigkeit aus, da ruht jemand in sich selbst und lässt dennoch nie locker. Seine Arbeiten werden durch diverse Galerien vertrieben. Die Rahmen baut er selbst, wozu war man Schreiner? Sein Lieblingsstativ ist natürlich das aller-allerschwerste, das aus Holz, weil es noch weniger Schwingungen auf die Kamera überträgt: Am Berg ist es ja nur selten wirklich windstill. Und dass der Verschluss der schweren Kamera beim Auslösen ebenfalls eine kleine, ganz kleine Schwingung auslöst, die das Bild ein Haar an Schärfe kosten kann, ließ ihm auch keine Ruhe. Irgendwie hat er auch das gelöst. So entstehen Arbeiten, bei denen man sofort weiß: „Das muss von Mathis sein!“ Mal sind es Landschaften, so wuchtig und grandios wie ihre stummen alpinen Protagonisten, mal zeigt er riesige Fresken, verborgen in winzigen Details von Gräsern oder Raureif. Immer scheint die Schöpfung stillzustehen für einen heiligen Moment der Demut, so und genau so, wie Mathis es in diesem Moment sieht und im Kopf hat.
Ein Bergsteiger, der Fotograf geworden ist
Was wir bestaunen, das ist zuallererst der kreative Akt des Sehens, dann erst die handwerkliche Meisterschaft, das so aufs Papier zu bringen: mit Schärfe und Zeichnung auch in den eigentlich flach weißen Flächen von Schnee oder Wolken. 2010 erscheint sein erster Bildband in Schwarz-Weiß: „Visual Dualism Dolomites“. Auf enthusiastische Kritiken folgen Ausstellungen in Berlin, Wien, Mailand, Zürich. Die er jeweils wochenlang akribisch vorbereitet. Mit „Alpen“ (2017) setzt er den Weg fort, mit „Schnee“ (2020) gelingt ein weiterer Meilenstein. Als er noch Bergsport dokumentierte, war er ein ausgezeichneter Fotograf – seit er in Schwarz-Weiß arbeitet, ist er einzigartig.
Die Lobeshymnen lässt er für seine Bilder gern gelten – so eitel ist er dann doch – aber sobald sich ein Lob auf seine Person bezieht, scheint es ihm irgendwie unheimlich. Da wiegelt er ab: „Nicht geschimpft ist Lob genug.“ Auf die Frage nach seinen wichtigsten Büchern nennt er neben „Freeride“ und den Schwarz-Weiß-Bänden überraschend „Sportklettern in den Alpen“, unser gemeinsames Werk von 1998 (leider vergriffen). Als wir damals kreuz und quer durch die Alpen fuhren und viele der grandiosen neuen Touren gemeinsam kletterten, war doch kaum Zeit für das absolut perfekte Bild? „Aber die Klettertage waren großartig, weißt du nicht mehr?! Ich bin ja ein Bergsteiger, der Fotograf geworden ist, und nicht andersrum.“ Oft wird er jetzt verglichen mit dem Amerikaner Ansel Adams, dessen Schwarz-Weiß-Fotografie die Wahrnehmung des Klettermekkas Yosemite als eigentlich sakraler Raum entscheidend prägte. Mathis selbst nennt den englischen Maler Edward Theodore Compton als Vorbild, der im neunzehnten Jahrhundert Staffelei und Klappstuhl hinauf in die Berge schleppte: „Der war eigentlich der Erste, der wirklich in die Berge hineinging, um sie abzubilden. Also nicht von außen auf die Berge blickte, auf etwas Fremdes, Exotisches, sondern mit ihnen vertraut war.“ Und in Zukunft? „Das Meer interessiert mich, ein bisschen was habe ich da auch schon gemacht. Die Wellen sind ähnlich wie der Spray beim Snowboarden, wunderschön und extrem flüchtig. Aber ich will nicht an irgendwelche exotischen Locations fliegen wie nach Hawaii, die Fliegerei ist einfach auch zu umweltschädlich. Ich will die Bilder dort finden, wo andere sie nicht finden, vielleicht fahre ich mal an die Nordsee, mal schauen.“ Seit vierzig Jahren ist er nun mit Gudrun zusammen und hat nie woanders gewohnt als in seinem Geburtsort Hohenems bei Bregenz in Vorarlberg, daran wird sich auch nichts ändern, warum auch? Es ist gut, wie es ist. Er hat auch schon Motorräder fotografiert, Whisky, ein Nonnenkloster in Südfrankreich, einen Porträtband, aber zuerst sind die Bilder immer noch in seinem Kopf. Vermutlich ohnehin der Ort, wo er am liebsten ist.