See mit Fels, im Hintergrund Berge
Der Felsblock im Hintersee bei Ramsau liegt dort seit ca. 3500-4000 Jahren. Inzwischen ist er bewachsen. Foto: Berchtesgadener Land Tourismus
Was uns die Natur erzählt

Alpine Landschaft verstehen

Die Alpen. – Majestätisch, erhaben, unvergänglich wirken sie immer wieder auf uns. Und doch wandeln sie sich unablässig. Die Berge heben sich, gleichzeitig nagen Erosion und Verwitterung an ihnen.

Stets und ständig kommt es dabei zu Massenverlagerungsprozessen. Ein nüchternes Wort, das vielfältige faszinierende Vorgänge umschreibt. Gleichzeitig ein Begriff, der ganz reale Gefahren birgt für alle, die in den Bergen unterwegs sind. Denn immer wieder kommt es vor allem zu Steinschlägen und Felsstürzen, ebenso zu Muren. Das Wissen darum, wo solche Ereignisse mit ziemlicher Sicherheit stattfinden werden, kann Unfälle vermeiden oder gar Leben retten. Mindestens aber erfahren wir mehr über die Geschichte eines Berges oder einer Tallandschaft.

Steinschlag & Co – eine Einordnung

Große, unerwartete wie großräumig verheerende Ereignisse treten glücklicherweise recht selten ein. Häufig hingegen kommen Ereignisse vor, in denen sich verhältnismäßig wenig Masse oder gar nur kleinere Steine aus einer Bergflanke lösen.

Vier Phänomene, die am Berg zu unterscheiden sind:

  • Steinschlag tritt relativ häufig auf, insbesondere in sehr instabilen Wandpartien, dabei lösen sich sehr kleine bis kleine Steine. Zu erkennen an viel losem Gestein am Felsfuß.

  • Bei Blockschlag und Felssturz handelt es sich um (periodisch wiederkehrende) Einzelereignisse, bei denen sich größere Steine und kleinere Blöcke bzw. bei letzterem große Blöcke mit mehr als zwei Kubikmetern lösen können oder mehrere zehn- und hunderttausende Kubikmetern.

  • Bei einem Bergsturz brechen große Mengen Gestein aus. In der Wissenschaft spricht man ab einem Volumen von einer Million Kubikmeter von einem Bergsturz; umgangssprachlich und auf subjektiver Ebene benennt die einheimische Bevölkerung oft auch kleinere Ereignisse als Bergsturz.

Viel loses Gestein am Wandfuß ist ein Hinweis auf häufige Steinschlagereignisse. Foto: DAV/Silvan Metz

Fast detektivisch: Das Auge üben

Mit ausreichend Übung und ständiger Erfahrung können wir überall im alpinen Gelände die Überreste kleinerer oder größerer Ereignisse erkennen, bei denen Gesteinsmassen in Bewegung geraten sind. Im besten Fall lässt sich durch dieses Wissen an akuten Gefahrenstellen zügig vorbei gehen oder auch sein sonstiges Verhalten anpassen.

So sprechen homogene Schotterhalden unter einer Felswand für kontinuierliche Sturzprozesse, die das ganze Jahr über auftreten können. Einzelereignisse wiederum, vor allem bei Starkniederschlägen, sind vor allem in und unter rinnenartigen Bergstrukturen zu erwarten.

Wie lange es her ist, seit sich das Gestein ausgelöst hat, lässt sich mit Blick auf Merkmale wie die Gesteinsfarbe oder auch auf die Vegetation bestimmen: Ist die ursprüngliche Gesteinsfarbe an den Bruchstellen sichtbar, ist das Ereignis erst kurze Zeit her. Je verwitterter und mit Algen, Moosen und Flechten überzogen das Gestein ist, desto länger liegt das Ereignis zurück. Sind Fels- und Bergstürze mehr als hundert Jahre her, hat sich inzwischen oft bereits eine Humusauflage gebildet und Bäume wachsen auf den Blöcken.

Auch sonst kann die Vegetation sommers wie winters viele weitere wertvolle Hinweise geben:

  • Die Latschenkiefer und die Legbuche wächst gerne dort, wo Steinschlagaktivität etwas geringer ist; mit ihren Wurzeln stabilisieren sie die Schutthalde.

  • Obacht wiederum bei Bergahorn und Ulme: Sie kommen gehäuft in Steinschlagrinnen mit hoher Gleitschneeaktivität vor.

  • Kommt es an waldumstandenen Felsen zu Steinschlägen, so können die Steinschlagmarken, also Verletzungen der Rinde, an den Baumstämmen Auskunft darüber geben, wie häufig und intensiv diese Ereignisse sind.

Der Felsblock im Hintersee bei Ramsau liegt dort seit ca. 3500-4000 Jahren. Inzwischen ist er bewachsen. Foto: Berchtesgadener Land Tourismus

Alte und neue Großereignisse

Vielerorts zeugt die Landschaft von Fels- und Bergstürzen. Dabei sind neuere Spuren oft sehr offensichtlich und schnell erklärt, andere erschließen sich erst auf den zweiten Blick:

Schaut man von der Zugspitze hinab auf den Eibsee mit seinen Inseln, so erfassen die Augen eine von einem gewaltigen Bergsturz gestaltete Landschaft: Einst war Deutschlands höchster Berg mehr als 3000 Meter hoch. Bis riesige Mengen Geröll ins Tal niedergingen und mit gigantischer Energie die Wassersenke am Bergfuß verformte und ihre heutige Gestalt gab.

Auch der Zauberwald im Berchtesgadener Land ist Überbleibsel eines enormen Einzelereignisses: riesige, in die Landschaft geschleuderte Felsbrocken, die längst bemoost und überwuchert sind und um die herum sich ein Flüsschen seinen Weg bahnt. Der Wald entstand, als vor 3500 bis 4000 Jahren ein großer Felssturz vom Hochkaltermassiv ins Tal donnerte und die Ramsauer Ache zum Hintersee aufstaute.

Jüngste verheerende Bergsturzereignisse wie 2017 am schweizerischen Piz Cengalo werden wissenschaftlich immer öfter auch mit dem Auftauen des Permafrostes in Verbindung gebracht. Seit einigen Jahren wird die wissenschaftliche Erforschung dieser Ereignisse intensiviert. So am Hochvogel in den Allgäuer Alpen, wo sich ein einst kleiner Riss im Gipfel zu einer großen, klaffenden Spalte geöffnet hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis dort alles auseinanderbricht.

Bergsturz Piz Cengalo Ausbruchstelle Murgang Bondo. Foto: VBSswisstopoFlugdienst

Themen dieses Artikels