Interview mit Kai Engbert
Kai Engbert ist Sportpsychologe, er hat am Max-Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften promoviert. Der 42-Jährige weiß, wie Leistungssportler ticken, er nahm als Kanute selber an vielen Wettkämpfen teil und trainierte am Bundesstützpunkt Augsburg. Nach dem Leistungssport richtete sich der Fokus des gebürtigen Dortmunders zunehmend auf den Bergsport und das Klettern. Der Mentalcoach bereitete unter anderem die deutschen Skispringerinnen auf die Winterspiele in Sotschi 2014 vor, seit diesem Jahr betreut Kai Engbert die fünf Athletinnen und Athleten des DAV-Fokusteams auf ihrem Weg zu den Olympischen Sommerspielen in Tokio 2020.
„Das Gehirn ist der wichtigste Muskel beim Klettern“: Würden Sie diesen Satz von Wolfgang Güllich unterschreiben?
Ja, würde ich. Das Gehirn ist ein ganz wichtiger „Muskel“. Aber ich denke, dass es letztendlich das perfekte Zusammenspiel zwischen Kraft, Technik und Psyche ist, das entscheidend ist. Man kann sich das wie bei einem Puzzle vorstellen: Wenn ein Teil fehlt, ist es nicht komplett.
Und beim Wettkampf? Wie wichtig ist da der Kopf?
Der Athlet muss den Wettkampf im Kopf annehmen und ihn als Aufgabe akzeptieren. Das ist notwendig, um sich fokussieren zu können und sich von störenden externen Faktoren, wie Fernsehkameras und Fotografen, nicht ablenken zu lassen. Im Idealfall nutzt er den Kopf, um ein Problem, beispielsweise einen Boulder, zu lösen. Wichtig ist es, in den Modus zu kommen, den man auch im Training hat. Also bei einem Boulderwettkampf beispielsweise auszublenden, dass man nur eine begrenzte Zeit für seine Versuche hat.
Sie betreuen die Athleten des Fokusteams. Wie schaut Ihr Coaching aus, was passiert dabei?
Das sind schon sehr gute und erfahrene Athleten, die ganz spezielle Profile haben. Ich muss herausfinden, wo ich andocken kann, was ich ihnen mitgeben kann. Und das ist bei jedem der fünf im Fokusteam unterschiedlich – für mich ist jeder ein ganz individueller Fall. Letztendlich geht es um eine Standortbestimmung und darum, wie man bei den einzelnen Athleten noch Kleinigkeiten verbessern kann. Momentan bin ich immer ein oder zwei Tage bei den Lehrgängen dabei. Bei den Wettkampfsimulationen schaue ich genau, was war, was noch verbessert werden kann. Themen, die dort aufploppen, werden dann nachbearbeitet. Beispielsweise analysiere ich gemeinsam mit einem Athleten, weshalb er sich in einer bestimmten Situation so aus dem Wettkampf rausgeholt hat. Ich stehe dem Fokusteam bei Fragen oder Problemen aber natürlich auch außerhalb der Lehrgänge zur Verfügung, um individuell mit jedem zu arbeiten.
Wie schafft man es, mental stark zu werden?
Üben, üben, üben. Den größten Fehler, den man machen kann, ist zu wenig zu üben. Das kann ich wunderbar am Beispiel Sturzangst erklären: Wenn ich mich der nicht stelle und die Situation, eventuell zu stürzen, immer vermeide, werde ich diese Angst nie überwinden. Das bedeutet: Ich muss ganz bewusst immer wieder stürzen, es trainieren, und werde es dann eines Tages auch angstfrei tun können.
Und wie gelingt es einem Athleten, im entscheidenden Moment cool zu bleiben? Wenn es im Weltcup bei einem Boulder beispielsweise nicht planmäßig läuft, wie schafft er es, sich nicht aus dem Wettkampf zu holen?
Ganz einfach: er braucht die Akzeptanz, dass es Boulder gibt, die nicht gut laufen. Extrem wichtig ist, das schnell abhaken zu können und in der Pause nicht über den verkackten Boulder nachzudenken, sondern kopfmäßig schon beim nächsten zu sein.
Gibt es Sportler, die das mentale Coaching besser annehmen als andere?
Man muss sich damit auseinandersetzen wollen – diese Bereitschaft gehört dazu. Wenn man keine Lust darauf hat, dann wird das mentale Coaching auch nicht funktionieren. Und es gibt Sportler, die im Mentalen schon sehr weit sind. Bei anderen dagegen kann man noch viel rausholen. Das ist wie beim Dehnen. Es gibt solche, die schon sehr beweglich sind, andere dagegen müssen noch daran arbeiten.
Was ist bei Ihrem Coaching des Fokusteams auf dem Weg nach Tokio im Vergleich zu anderen Sportarten das Besondere?
Das wird sich zeigen, wenn die Olympischen Spiele näher rücken. Momentan steht ja die Qualifikation im Vordergrund. Die Frage kann ich also erst Anfang Oktober beantworten, wenn das Ziel dann hoffentlich auch für die Sportler greifbarer wird. Aber was ich schon jetzt sagen kann, ist, dass sich die Kletterer nicht als Experten auf ihre Disziplin fokussieren können. Der für die Sommerspiele geschaffene Dreikampf aus Speed, Bouldern und Lead macht das Ganze für sie wesentlich anspruchsvoller. Das ist ganz sicher eine Besonderheit.
Erklärtes Ziel des DAV ist, mit zwei Herren und einer Dame nach Tokio zu fahren. Falls das gelingt, wird dann der Druck – auch der mentale – auf diese Athleten noch einmal zunehmen?
Olympia ist eine andere Situation. Das ist etwas Neues, auf das man sich einstellen muss. Aber eigentlich ist auch das nur ein Wettkampf, dem nur die Welt, die Öffentlichkeit, eine ganz besondere Bedeutung gibt. Das wird zu einer Riesensache gemacht, aber ist im Prinzip für die Sportler ja doch nur ein Wettkampf. Deshalb muss der Teilnehmer seine Bedeutungsgebung adjustieren. Er darf den Druck, der sich aufbauen wird, nicht als bedrohlich empfinden, sondern sich sagen, dass ja gerade das Geile an Olympia dieser Druck ist. Wenn er den nicht haben will, dann muss er ja nicht hinfahren. Er muss Bock auf Druck haben. Wir – das Trainerteam und ich – wollen den Sportler nicht vor Druck beschützen, wir wollen, dass er unter Druck gut performed.
Interview: Gudrun Regelein