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„Alpen sind mehr als Gipfel und Täler“

26.03.2014, 22:56 Uhr

Komplexe Fragen standen im Raum bei der gut besuchten Podiumsdiskussion im Haus des Alpinismus München. Sie führten in die Tiefen der EU- und Alpenpolitik, zu Begriffen, die fast nur Eingeweihten bekannt sind. Dabei verbirgt sich hinter dem Ziel „nachhaltige Entwicklung für die Alpen“ eigentlich viel offensichtlich Wertvolles. Klar ist, dass die Alpen ein ganz besonderer Naturraum sind. Dass sie für ihre Bewohner Lebensraum und Heimat sind, aber nicht immer genug zum Leben bieten. Und dass sie weit ins Umland hinaus wirken – nicht nur durch ihre Bedeutung für Bergsport und Tourismus, sondern auch zum Beispiel als Wasserspeicher, als Energiewelt oder als Transithindernis.

 

Dem Schutz und der nachhaltigen Entwicklung der Alpen soll die Alpenkonvention dienen, ein 1991 initiierter, alpenweit gültiger Vertrag zwischen den acht Alpenstaaten und der EU, mit sogenannten „Protokollen“ zu Themenfeldern wie Verkehr, Energie oder Raumplanung. 2010 entstand in den Regionen die Idee, für die Alpen eine „makroregionale Strategie“ zu entwickeln – in „Makroregionen“ sollen Regionen mit vergleichbaren Charakteristika und Problemen grenzübergreifend entwickelt werden. Diese „Makroregion Alpen“ bezieht weite Bereiche des Alpenvorlandes ein und betrifft damit 66 Millionen Menschen statt der „nur“ 15 Millionen Alpenbewohner.

 

Klaus-Juergen-Gran
Klaus Jürgen Gran, Foto: DAV
Ob dieses Modell einen Mehrwert biete, und welche Rolle darin noch die Alpenkonvention spiele, das seien zwei der wesentlichen Fragen der Diskussion. So Klaus-Jürgen Gran, Präsident des CAA (Club Arc Alpin, Dachverband der Alpenvereine im Alpenraum), der nach der Begrüßung durch DAV-Vizepräsident Ludwig Wucherpfennig in den Abend einführte. Der Einladung des CAA waren hochrangige Verwaltungsbeamte und Alpenexperten gefolgt, die sich engagiert in die Diskussion stürzten, kompetent moderiert vom Alpinjournalisten Axel Klemmer.

 

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Professor Werner Bätzing, Foto: DAV
Professor Werner Bätzing, ein führender Alpenforscher, outete sich skeptisch zum Modell „Makroregion“: es sei ein neoliberaler Trend, Regionen nach Metropolen auszurichten. Dabei drohe die Gefahr, dass die wirtschaftsstarken Städte im Vorland die Bedürfnisse der Alpenbevölkerung dominieren, zum Beispiel was die Nutzung der Wasservorräte oder das Potenzial der Alpen zur Energiegewinnung und -speicherung angehe. Diesem Bedrohungsszenario widersprach Dr. Peter Eggensberger aus dem Bayerischen Umweltministerium: „Ein Interessenausgleich ist vertraglich zugesichert.“ Markus Reiterer, Generalsekretär der Alpenkonvention, wies darauf hin, dass Strategien „für beide Seiten Vorteile bringen“ müssten und dass man die Alpen nicht nur unter Schlagworten wie „Batterie Europas“ ausbeuten dürfe. Sogar Dr. Christian Baumgartner, Vizepräsident der internationalen Alpenschutzorganisation Cipra, sah „kein Gespenst der Fremdbestimmung“ über den Alpen schweben, sie hätten „starke, selbstbewusste Regionen“.

 

Eva Nussmüller, in der EU-Kommission für Makroregionen zuständig, erklärte, die Regionen sollten eine politisch stärkere Rolle bekommen, die EU halte sich mit Vorgaben bewusst zurück. Worauf Prof. Bätzing forderte, die Spezifizität der Regionen solle sich in den Strategien spiegeln – 45% der Alpenregionen seien strukturschwach. Die Ablehnung der Münchner Olympiabewerbung in Garmisch-Partenkirchen wertete er als Beispiel für das Bedürfnis der Alpenbewohner, dass ihre Heimat nicht nur als Hinterland der Metropolen gesehen wird.

 

Markus-Reiterer
Markus Reiterer, Foto: DAV
Ob eine „Makroregion“ bessere Chancen als die bisherige Politik der Alpenkonvention bietet, einen Chancenausgleich zwischen den „Champions League“-Regionen und armen, von Abwanderung bedrohten Zonen zu schaffen, dazu gab es kein einheitliches Meinungsbild. Franz Ferdinand Türtscher, Bürgermeister der Gemeinde Sonntag im Großen Walsertal, erklärte, dass jedenfalls das „reiche“ Lech dem „armen“ Walsertal kaum direkt unter die Arme greifen werden, um die medizinische und schulische Versorgung oder die Vereinsförderung zu realisieren; das werde eher vom Bundesland Vorarlberg gesteuert. „Jeder macht seine Sache“, konstatierte auch Dr. Eggensberger und hoffte, dass eine „gemeinsame Agenda“ zu mehr Integration führen werde. Dr. Christian Salletmaier vom „Alpine Space Programme“ merkte an, dass manche Probleme besser lokal gelöst werden sollten, während anderes, wie etwa die Biodiversität oder die Nutzung natürlicher Ressourcen, nur grenzübergreifend sinnvoll zu steuern sei. Die Bedeutung der lokalen Wertschöpfung hob Markus Reiterer heraus, wie sie etwa durch das Modell der „Bergsteigerdörfer“ gefördert werde. Und Prof. Bätzing ergänzte, diese „eigenständige Regionalentwicklung“ funktioniere in Österreich sehr gut, in den anderen Alpenländern viel zu wenig. Wer als Besucher Klischees wie eine alpenromantische Architektur fordere, diskriminiere jedenfalls die Alpenbewohner, die ein Recht hätten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

 

„Die Makroregion ist keine Wundertüte, die alle Probleme löst“, erklärte Eva Nussmüller, schwierig sei nicht das Schreiben von Konzepten, sondern das Umsetzen – und nicht nur die Frage „was will man?“ sondern auch „was ist möglich?“. In diesem Sinn formulierten die Diskutanten ihre Zukunftsperspektive für 2020. Dr. Baumgartner forderte widerspruchsfreie Strategien und realistische, aber trotzdem visionäre Ziele; als Beispiele nannte er Begriffe wie Lebensqualität, Reduktion und Suffizienz – Schlagworte, die der EU-Forderung nach „nachhaltigem Wachstum“ (einem Widerspruch in sich selbst) positiv entgegenstehen. Prof. Bätzing appellierte, die „funktionalen Verflechtungen“ zwischen Alpen und Vorland „auf Augenhöhe“ zu behandeln, und wies darauf hin, dass die „mentalen und sprachlichen Gräben sehr tief“ seien. Dr. Eggensberger lud die „Vertreter der Zivilgesellschaft“, zu denen auch der DAV gehört, ein, gute Projektideen einzubringen, und Markus Reiterer wünschte sich, dass so die „Alpen als lebenswerter Raum erhalten“ werden könnten – denn, so Franz Ferdinand Türtscher: „wenn die kleinen Orte ausgestorben sind, ist es zu spät.“

 

„Wohl niemand hat erwartet, dass am Ende des Abends alle Nebel gelichtet sind“, scherzte Klaus-Jürgen Gran in seinem Schlusswort nach einer langen, teilweise anspruchsvollen Diskussion. Aber: „Wir werden die Einladung von Herrn Eggensberger annehmen und uns einbringen, um die Idee der Makroregion Alpen mitzugestalten und das Bestmögliche für den Alpenraum herauszuholen, ohne die Errungenschaften der Alpenkonventionen zu gefährden.“ Mit anregenden Fachdiskussionen im kleinen Kreis klang die Veranstaltung traditionell bei Brot und Wein in den Räumen des Alpinen Museums aus.