… und in Zukunft?

Mehr als 150 Jahre engagieren sich Menschen für ihre Alpenbegeisterung im Alpenverein. Doch was wird IN 150 Jahren sein? Kann – oder WILL – man sich das überhaupt vorstellen? Und welche Rolle wird der Alpenverein bei den großen Herausforderungen der Zukunft spielen?

Gedankenexperiment: Was würden die Gründer zur Gegenwart sagen? 

Ob sich die Gründerväter Senn, Stüdl, Trautwein, Hofmann und Grohmann wohl nur annähernd vorstellen konnten, wie die Alpen heute aussehen? Ob sie ahnten, dass es von ihrem Wunsch, „die Bereisung der Alpen“ zu erleichtern, zu einem Erschließungsstopp gekommen ist? Dass der Alpenverein, der lange Zeit darüber gestritten hat, wie sehr Alpinismus auch Sport sein darf, die Infrastruktur geschaffen hat, um Sportler und Sportlerinnen auf die Olympischen Spiele vorzubereiten? Ob sie geahnt haben, welche Rolle der Naturschutz im Alpenverein spielen wird? Was würden sie sagen, angesichts der Skigebiete mit ihren Zauberteppichen und Flying Foxes? Ob sie jemals gedacht hätten, dass sich mal über 1,3 Millionen Menschen in „ihrem“ Verein versammeln? Ob sie stolz wären?

Der unbequeme Blick in die Zukunft

Der Blick in die Zukunft ist nicht nur schwieriger als der in die Vergangenheit, sondern auch unbequemer. Ist es doch unmöglich, dabei nicht sofort an eines der größten Probleme unserer Zeit – vielleicht DAS größte Problem – nämlich den Klimawandel zu denken. Denn die Anzeichen dafür, wie er unsere Welt und gerade die Alpen verändert, sind mehr als deutlich.

Karikatur von Sebastian Schrank

Wer noch nicht so recht an die Veränderung unseres Klimas glauben wollte, der ist vermutlich vergangenen Herbst aufgewacht: Ende Oktober 2018 wurden weite Teile Italiens, besonders Venetien und Südtirol, von heftigen Unwettern heimgesucht. Täler und Dörfer waren von der Außenwelt abgeschnitten, zwischen dem Fleimstal und Udine wurden 100.000 Hektar Wald zerstört, das Risiko von Erdrutschen stieg dramatisch. Die Folgen in den betroffenen Gebieten sind bis heute mehr als deutlich zu sehen.

Die Alpen werden aussehen wie die Pyrenäen

Und das ist nur eine sichtbare Auswirkung des Klimawandels: Während Bergsteiger in den 70er und 80er Jahren noch vom ewigen Eis sprachen, ist die Ewigkeit des Eises längst angezählt. Am Vernagtferner in den Ötztaler Alpen auf gut 3.000 Höhenmeter schmilzt die aktuell etwa noch 70 Meter umfassende Eisdecke jedes Jahr um etwa eineinhalb bis zwei Meter ab. Der Klima- und Umweltschutzexperte des DAV, Dr. Tobias Hipp, nimmt an, dass Gletscher in den Ostalpen im Jahr 2050 deutlich kleiner und nur in besonderer Höhe zu finden sein werden. Nennenswerte Vereisung wird es nur noch in der Bernina, im Ortlergebiet, in den Ötztaler Alpen sowie am Großglockner und Großvenediger geben – und abgesehen von der Bernina nur noch in bescheidenem Umfang. „Gegen Ende des Jahrhunderts werden die Alpen ausschauen wie die Pyrenäen“, so Tobias Hipp.

Rudolf Reschreiter, Vorstoß des Vernagferners in den Jahren 1893-1901. Tempera auf Karton. Österreichischer Alpenverein, Archiv und Museum

Am Potsdamer Institut für Klimaforschung rechnet man bis Mitte des 21. Jahrhunderts mit einer Erwärmung um ein Grad in Mitteleuropa. Der Anstieg wird in den Alpen besonders hoch ausfallen – und auch dann eintreten, wenn wir unser Verhalten von heute auf morgen auf „klimafreundlich“ umstellen würden. Wie es ab 2050 weitergeht, haben wir (noch) in der Hand. Deshalb setzt sich der DAV für Klimaschutz ein: Experten wie Dr. Tobias Hipp sitzen in Beratungsgremien oder betreiben auf Landes- und Bundesebene Lobbyarbeit für eine konsequente Klimapolitik. Denn ändern wir nichts an unserem Lebensstil, droht ein Temperaturanstieg um bis zu vier Grad mit drastischen Folgen.

Der Alpenverein und die Probleme der Zukunft

Wie also unbeschwert an die Zukunft denken? Konkreter: an die Zukunft der Berge? Es liegt nahe, zu verzagen und die Augen zu verschließen. Scheinen doch auch alle anderen Fragen und Probleme, die sich in Zukunft am Berg stellen könnten, angesichts dieses großen Klimaproblems verschwindend klein zu sein: Immer mehr E-Bikes? Sei’s drum!? Gehypte und überlaufene Weitwanderwege? Auch egal!? Immer weniger unberührte Natur? Wen stört’s!

#UnsereAlpen – die Alpen sind schön. Noch.

Den DAV stört’s und resigniert aufzugeben wäre der falsche Weg. Deshalb hat der Alpenverein im vergangenen Jahr zusammen mit dem Österreichischen und Südtiroler Alpenverein die Kampagne #UnsereAlpen gestartet. „Die Kampagne stellt die Schönheit der Alpen in den Vordergrund und zeigt, dass diese in Gefahr ist. Wir wollen dafür sorgen, dass man sie in ihrer Vielseitigkeit und Einzigartigkeit auch in Zukunft genießen kann. Naturschützer gelten immer als die Verhinderer, die alles blockieren – das stimmt aber gar nicht“, erklärt Tobias Hipp. Doch die Kampagne #UnsereAlpen geht weit über bloße Marketingbotschaften hinaus. Zusammen mit Partnern wie den Naturfreunden, dem Deutschen Naturschutzring oder dem WWF wurden Forderungen an die EU-Politik formuliert: Für mehr alternative Tourismuskonzepte nach dem Beispiel der Bergsteigerdörfer, für eine Festsetzung von Ausbaugrenzen, für eine Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, für mehr Güterverkehr auf der Schiene – um nur einige Beispiele zu nennen.

Der Alpenverein hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er in einer immer komplizierter werdenden (Berg-)Welt den richtigen Weg findet zwischen den gegensätzlichen Polen, wie zum Beispiel zwischen Sport und Naturschutz oder zwischen Erschließung und Bewahrung. Wenn die Herausforderungen der Zukunft bewältigt werden können, dann nicht mit Spaltung und Polarisierung, sondern mit Vereinigung und Vermittlung.

Katharina Kestler, 2019.

Mehr zum Thema:

Axel Klemmer: Tour in die Zukunft: Aussichten, in: DAV (Hrsg.): Die Berge und wir. 150 Jahre Deutscher Alpenverein, München 2019.

Im Titel verwendete Bilder:

Foto: DAV/Jörg Bodenbender
Bild: DAV/Marco Kost