Vom 16er Lager zum Doppelzimmer mit WLAN?

In den Top Ten der alpenvereinsinternen Diskussionsthemen stehen Hütten ganz oben. Während Duschen fast schon zum allgemein akzeptierten Standard gehören, scheiden sich spätestens beim WLAN und den Steckdosen im Zimmer – warum überhaupt Zimmer und nicht Lager?!? – die Geister. Dabei ist Luxus in Berghütten keine Erfindung des 21. Jahrhunderts und die Diskussion darüber auch älter, als man vermuten würde.

Kaspressknödel, Kaiserschmarrn, rot karierte Vorhänge und draußen vor dem Fenster – um in der Alliteration zu bleiben – die Gipfel des Kaisers, des Wilden. Aber egal ob im Wilden Kaiser oder ganz woanders und eigentlich auch völlig Wurst, was auf dem Teller liegt – vor wessen innerem Auge bei dieser Aufzählung nicht ein Bild perfekter Hüttenromantik entsteht, der kann noch nie in seinem Leben in den Alpen gewesen sein.

Hüttenromantik – so sehr sie Bergfreunde vereint, so sehr spaltet sie auch. Was ist das überhaupt, diese Hüttenromantik? Wie viel Behaglichkeit braucht Romantik? Und wie behaglich darf es auf einer Berghütte sein? Wer glaubt, der Streit um den Luxus von Alpenvereinshütten, der herrsche erst, seit Berggänger Handys oder E-Bikes dort laden oder die neuesten Smartphone-Pics per WLAN in die Sozialen Medien hochjagen wollen, der täuscht sich gewaltig. Denn die Diskussion um Hütten ist (fast) so alt wie der Alpenverein selbst und kam mitnichten erst auf, als die Menschen es gewohnt waren, sich nach jeder körperlichen Anstrengung mit einer Warmwasserdusche zu reinigen.

Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Touristenhaus Koralpe. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)
Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Untersberghaus. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)
Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Touristenhaus Frischen. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)

Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Stuiben Hütte. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)

Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Simony Hütte Dachstein. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)
Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Grobgestein Hütte Dachstein. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)
Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Glocknerhaus Elisabeth Ruhe. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)

Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenverein-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Douglass Hütte Lünersee. (Bild: ÖAV/West. Fotostudio)
Einige der ersten Hütten des Alpenvereins, Teil einer Aquarellserie aus dem Alpenvereins-Museum, die vor 1911 entstanden ist. Hütten von links nach rechts: Touristenhaus auf der Koralpe, Untersberg-Haus, Freschen-Haus, Stuiben-Hütte, Simony-Hütte am Dachstein, Grobgestein-Hütte am Dachstein, Glocknerhaus auf der Elisabethruhe, Douglasshütte am Lünersee. Österreichischer Alpenverein, Archiv und Museum. Fotos: Foto West.

Hinter der Gründung des Alpenvereins stand der ehrliche Wunsch der Initiatoren bei allen „Alpenfreunden“, die „offenen Sinn“ mitbringen, „die Liebe zu den Alpen“ zu wecken, wie Theodor Trautwein, einer der DAV-Gründer, schreibt. Entsprechend der ersten Satzung war ein Vereinszweck „die Bereisung der Alpen zu erleichtern“ und die Kenntnis der Alpen zu fördern. Dafür sollte, in der Vorstellung der Gründer, auch ein Netz an Wegen und Hütten dienen. Gerade der Hütten- und Wegebau war ein Grund für den, der Gründung des DAV vorangehenden, Bruchs mit dem Österreichischen Alpenverein. Letzterer nämlich sah seine Aufgabe vor allem in der literarischen Tätigkeit. 

Hütten – DER Widerspruch der Alpinismusgeschichte

Hütten an sich waren von Beginn an dazu verurteilt, der Zankapfel der Alpinismusgeschichte zu werden, denn sie bergen ein Paradoxon. Nicht nur heute, sondern schon vor 150 Jahren ging es vielen Bergfans darum, aus einem Leben in Wohlstand, dem täglichen Einerlei und einer Gesellschaft im Überfluss auszubrechen, in die unberechenbare, unwirtliche und unbehagliche Welt der Berge. Heute erklärt man diesen Drang mit der Technisierung und Digitalisierung, früher hat man die Gründe in der Industrialisierung und Verstädterung gesucht. Hütten aber – egal ob früher oder heute, egal wie luxuriös oder spartanisch – machen das Unberechenbare planbarer, servieren im Unwirtlichen einen warmen Tee und bieten in der Unbehaglichkeit mindestens eine Wolldecke an. Hütten entschärfen jenes Abenteuer, welches man in den Bergen eigentlich sucht, machen das Gebirge jederzeit wohltemperiert und bewohnbar.

Wem gehören die Berge? Und für wen sind die Hütten?

Die Verantwortlichen des Alpenvereins konnten sich schon nach wenigen Jahren Vereinsarbeit gegenseitig auf die Schulter klopfen, denn ihr in der ersten Satzung festgeschriebener Plan ging auf: Ihre Sehnsucht nach und ihre Lust an den Bergen traf auf ein gesellschaftliches Interesse, das alsbald in den Alpen erkennbar wurde. Die Liebe zu den Alpen war nun auch bei vielen anderen entfacht und führte zum Beispiel dazu, dass die 1879 am Ende des Zillertals errichtete erste Berliner Hütte fortan fast jedes Jahr erweitert werden musste. Im Übrigen verfügte die Berliner Hütte schon bald über einen Damensalon, einen viereinhalb Meter hohen Speisesaal, wassergespülte Aborte, eine elektrische Klingelleitung aus den Schlafzimmern und eine Telefonleitung aus dem Tal in die Hütte und war damit gar nicht so spartanisch, wie man es von Hütten ihrer Zeit vielleicht vermutet. Luxus in Berghütten ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. 

Eigentlich ist der Alpentrend also ein Erfolg im Sinne der Gründer und doch waren die Kritiker schon um 1900 zur Stelle und sprachen von „Vielzuvielen“, einem „Strom“, einer „Sintflut“ an „Hüttenbummlern“, von „Menschenschwärmen“ oder gar „ungeheuren Heuschreckenschwärmen“, die in die Berge drängten. Die Debatte um die Massen in den Bergen und um die Grenzen der Erschließung der Alpen wurde vor allem vor und nach dem Ersten Weltkrieg geführt. Manch Wortführer meinte die Berge aus ihrer Not erretten zu müssen, dabei waren es zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht die Berge, die Not litten, sondern eher die elitären Alpinisten, die sich bedrängt und eingeengt fühlten von den Vielen, die von ihrer Leidenschaft angesteckt waren.

Die alpinistische Elite gegen die „Touristen“

Damals schon schwingt ein gewisser Egoismus und Besitzanspruch mit, der sich heute noch ganz ähnlich anhört, wenn sich Einheimische – und viel häufiger noch solche, die meinen es qua alpinistischer Leistung zu sein – über die beschweren, die sie abfällig als Touristen bezeichnen. Damals stellte sich denen, die ihre heiligen Berge für sich alleine beanspruchten, der spätere Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler aus der Schweiz entgegen:

»Der Mensch hat fünf bis sechs Fuß Höhe und ein bis zwei Fuß im Durchmesser; und dieser Knirps begehrt für seine Ferieneinsamkeit nicht etwa bloß, daß ihm auf seinen Spaziergängen niemand begegne, nein, er verlangt gleich ein paar Dutzend Gebirgsstöcke von je viertausend Metern Höhe und je zwanzig Stunden im Umkreis für sich allein.« – Carl Spitteler, Schriftsteller

Spitteler trat für eine Demokratisierung der Alpen ein, gleiches Anrecht für alle, keine Patente und Monopole für Naturgenuss. Die Lektüre seiner Werke sei dem ein oder anderen Gipfelgrantler auch heute noch empfohlen.

Back to the roots – die Tölzer Richtlinien 

Die Diskussion darüber, wem die Alpen gehören oder besser: wem es aufgrund seiner alpinistischen Leistung erlaubt ist, sich dort aufzuhalten, ist eng verbunden mit der Frage, wie luxuriös Hütten sein dürfen. Für die leistungsorientierten Bergsteiger war die hochalpine, unberührte Landschaft ein Spielfeld, auf dem sie sich der Gefahr aussetzen konnten und das sie durch den wachsenden Zustrom von Menschen ins Gebirge ebenfalls in Gefahr sahen. Nicht allzu versierte Berggeher mit weniger Annehmlichkeiten auf den Hütten aus den Bergen zu ekeln, war – überspitzt formuliert – eine Idee hinter den Tölzer Richtlinien von 1923. Gleich Paragraph 1 legte fest, dass Hütten und Wege nur nach dem Maßstab der bergsteigerischen Bedürfnisse gebaut werden dürften. Man widersprach damit den Ideen der Pioniere des DAV, die das Erlebnis Berg möglichst vielen „Verehrern der erhabenen Alpenwelt“ zugänglich machen wollten.

Die Richtlinien sahen unter anderem nur Matratzenlager vor, die Federbetten sollten auch in bestehenden Hütten schrittweise durch Decken ersetzt werden, das Essen sollte einfach sein, den Bergsteigern sollte die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu kochen, die Nachtruhe wurde auf 22 Uhr festgesetzt ebenso wie die Bevorzugung von Bergsteigern gegenüber anderen Gästen bei der Schlafplatzvergabe. Neue Wege sollten verhindert, Hütten nur an bergsteigerisch bedeutenden Standorten neu errichtet werden und Markierungen gering gehalten werden – Reklame für Hütten wurde gänzlich verboten. Die Richtlinien wurden in den Folgejahren wieder aufgeweicht, neue Standorte für das in Mode kommende Skifahren gebaut und viele Sektionen erichteten neue Hütten als Ersatz für die in Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg enteigneten. Von den verabschiedeten Einschränkungen war nur noch wenig zu bemerken. 

Hütten heute – dieselben Fragen wie vor 100 Jahren

In den 1970er Jahren kommt es langsam zur Wende – von der Erschließung weg hin zur Erhaltung von Hütten und Wegen. Bereits 1958 wurde ein Erschließungsstopp für den bayerischen Alpenraum beschlossen, Ziel des Alpenvereins sei es, die Schönheit und Ursprünglichkeit der Bergwelt zu erhalten. 1977 weitet man den Erschließungsstopp auch auf den österreichischen Alpenraum aus, der Naturschutz rückt immer mehr in den Fokus der Alpenvereine. In Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen geht der DAV die Probleme Müll, Abwasser und Energieversorgung an und versucht mit verschiedenen Marketingmaßnahmen eine immer breitere Mitgliedsstruktur anzusprechen, z.B. Familien und Senioren.

Zwei Kriege, Besatzung, Beschlagnahmung, Rückgabe, neue behördliche Auflagen, gewandelte hygienische Ansprüche, mehr Sensibilität für Naturschutzfragen – und die Grundfrage blieb doch über all die Jahre dieselbe: Was braucht es auf einer Hütte? Was genau sind die in den Tölzer Richtlinien festgelegten „bergsteigerischen Bedürfnisse“? Und inwieweit sind diese – wie alles andere auch – einem gesamtgesellschaftlichen Wandel unterworfen? Anders gefragt: Duscht ein Bergsteiger im Jahr 2019 nicht auch gerne nach einer anstrengenden Tour? Oder ist es nicht auch ein „bergsteigerisches Bedürfnis“, das Handy zu laden? Darüber lässt sich in jedem Fall vortrefflich diskutieren… 

BR-Doku: Hüttengeschichten – Leben mit einem Denkmal

Auch Hütten können Denkmäler sein. Obwohl sie meist einfach und zweckmäßig sind, prägen sie dennoch Landschaft und Kultur. Das Spektrum ist groß und reicht von der Alm- und Jagdhütte bis zur hochalpinen Berghütte.

Katharina Kestler, 2019.

Mehr zum Thema:

Martin Achrainer: ‚Alle sind berufen mitzuwirken.‘ Die Gründung des Deutschen Alpenvereins im Mai 1869, in: DAV (Hrsg.): Die Berge und wir. 150 Jahre Deutscher Alpenverein, München 2019
Georg Bayerle: Schutzhütten heute. Das Beispiel Gruttenhütte, in: DAV (Hrsg.): Die Berge und wir. 150 Jahre Deutscher Alpenverein, München 2019
DAV/ÖAV/ AVS (Hrsg.): Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen, München 2018
Marita Krauss: Alpenverein vor Ort: Die Sektionen, in: DAV (Hrsg.): Die Berge und wir. 150 Jahre Deutscher Alpenverein, München 2019

Im Titel verwendete Bilder:

Prager Hütte. Teil der Aquarellserie "Die ersten Hütten des Alpenvereins" aus dem Alpenverein-Museum, vor 1911. Österreichischer Alpenverein, Archiv und Museum. Foto: West.
Neue Prager Hütte in der Venedigergruppe, 2015. (Foto: DAV/Friederike Kaiser)