Arved Fuchs: Das Eis schmilzt
Sachbuch
17.12.2020, 08:41 Uhr
Einer der bekanntesten Polarreisenden schildert eindringlich die Folgen des Klimawandels – und zeigt, wie wir noch etwas dagegen tun können.
„Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um einen ökologischen und ökonomischen Neuanfang.“ Das ist das Fazit, das Arved Fuchs am Ende seines Buches zieht – und auch die Lehre aus seiner Lebenserfahrung. Als Reisender immer neugierig, lernte er von den kanadischen Inuit das Gespür für Schnee und Eis und bereiste Jahrzehnte lang die Polarregionen der Erde mit seinem Segelschiff Dagmar Aaen. „Das Eis schmilzt“, so lassen sich seine Wahrnehmungen zusammenfassen; es ist der Titel des Buchs. Eklatantes Beispiel aus erster Hand: Die Nordwest- und Nordostpassage, die er als Pionier ohne Eisbrecherbegleitung durchschiffte, sind heute planbare Ziele für Luxuskreuzfahrten.
Dass diese Eisschmelze aber nur das vielleicht deutlichste Symptom der Klimakatastrophe ist, und dass diese die Lebensgrundlagen der ganzen Menschheit (und der Ökosphäre überhaupt) bedroht, dagegen möchte der von der 68er- und der Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre geprägte Abenteurer mobil machen. „Es ist die Pflicht des Chronisten, sich einzumischen und zu berichten.“
Das Buch ist eine unterhaltsame Mischung aus Reisebericht, Faktensammlung und politischem Manifest, garniert mit begeisternden, motivierenden und erschütternden Fotos. Sympathisch erzählt Fuchs von seinen Erlebnissen in den großartigen polaren Landschaften. Liefert ordentlich recherchierte Hintergründe, etwa zur Umweltbilanz von Offshore-Windkraftanlagen: Tote Vögel, aber weniger als an Hausfassaden oder durch Klimawandel-Folgen; Störungen der Meeresfauna beim Bau, die aber durch technische Maßnahmen reduziert werden; und dass die künstlichen Inseln im Meer Ansatzpunkt für neues Leben werden, auch durch reduzierten Verkehr und Fischereiverbot. Und er schildert Best-Practice-Beispiele, wo Menschen die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Lebensweise und Energieversorgung zukunftstauglich gemacht haben: Die dänische Insel Samsö, die mehr als energieautark ist; das Dorf Hausbay bei Koblenz, das von und mit gemeinsamer Ökoenergieerzeugung bestens lebt; Stadtwerke wie in Oerlinghausen, die in Kraft-Wärme-Kopplung Strom und Wärme aus Biomasse liefern; Island mit einem Komplettmix aus Wind-, Wasserkraft und Geothermie, daraus erzeugtem Methanol und CO2-Bindung an Tiefengestein. Er belegt damit: Es ist möglich, dass wir die Kurve kriegen – wenn wir es wirklich wollen.
Für eine „gute“ Zukunft
Das Buch ist anregend und auf Augenhöhe geschrieben, ohne Überheblichkeit eines weltbekannten Polarabenteurers. Dass nicht alle Fakten schlüssig zusammenpassen – etwa, dass Wasserstoff als Rohstoff betrachtet wird statt als Speichermedium –, mag man dem Autor verzeihen, wenn man seine Betroffenheit betrachtet und das Engagement, mit dem er sich für ein „besseres“ Leben einsetzt. Dann ist es auch nicht so schlimm, wenn mal sprachlich mal was danebengeht („Das Problemfeld ist nicht wie ein Tsunami über uns gekommen“), zu umständlich oder abgegriffen formuliert ist. Wie etwa die Kapitelüberschrift „Die Zukunft möglich machen“ – die ist natürlich hohl, denn die Zukunft kommt einfach als Konsequenz dessen, was wir tun. Dass wir das Richtige tun, damit die Zukunft für unsere Kinder und Enkel erträglich wird, darum geht es – wenn dieses Buch etwas dazu beitragen kann, hat Arved Fuchs einen sehr guten Job gemacht.
Kurzcheck
Info
Besonders geeignet für … Menschen, die nicht glauben wollen, dass es den Klimawandel gibt, oder dass man noch was dagegen tun kann.
Arved Fuchs: Das Eis schmilzt, Delius Klasing Verlag, 2020, 252 Seiten, 19,90 Euro