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Zerfetzte Seile, knüppelhartes Training und mindestens sechs neue Techno Queens

03.05.2021, 19:16 Uhr

Ergebnisreicher Lehrgang vom Expedkader Frauen. Lea und Luisa berichten, wie es weiterging:

3-2-1- das Seil rutscht durch meine Bremshand, Rums! Es ging viel zu schnell und ich hatte keine Chance ihn zu halten - den 60 kg Sandsack - mit dem wir heute verschiedene Sturzszenarien simulieren. Dieses Szenario, das in der Realität tragisch geendet hätte, ist schockierend nah an dem, was wir auch auf Tour ab und an vorfinden: sehr wenig Seilreibung, Halbseiltechnik, dünne Seile (Edelrid Skimmer), ein Sturz von 2 Metern über der letzten Sicherung und ein*e Partner*in, die sogar mein Gewicht hat.

 

Unhaltbar. Keine von uns schafft es, trotz Sicherungshandschuhen, trotz Countdown dieses Szenario zu halten. Geschweige denn die Fälle mit 80kg.

Wir sind milde gesagt geschockt und müssen danach gleich noch ein paar Szenarien mit etwas mehr Reibung ausprobieren, um überhaupt noch das Gefühl zu haben, dass wir Stürze normalerweise schon halten können.

 

Material- und Sicherheitskunde bei Edelrid

Wir probieren an diesem Tag alles aus. Klatschen mit voller Wucht gegen das Crashpad über uns, weil die Selbstsicherungsschlinge zu kurz war oder der Kletternde zu schwer, schmelzen Seile an beim Sichern mit HMS und Halbseiltechnik über den Stand, probieren möglichst weiche Stürze bei extrem viel Seilreibung zu sichern und lernen, dass dies mit der Sensorhand eine Kunst für sich ist, die jedoch sehr effektiv sein kann. Dieser Teil unseres Lehrganges hinterlässt wahrscheinlich den größten Eindruck bei uns. Denn wann kann man schonmal die Grenzen des Haltbaren und des Weichsicherns in einer Mehrseillänge so ausprobieren? In der Wand eher ungünstig.

 

Unser Fazit: Bestimmte Situationen, über die wir vorher noch nie so nachgedacht hatten, verlangen Respekt. Sich dessen bewusst zu sein, kann lebensrettend sein, da man dann entsprechend reagieren kann: zweiten Karabiner dazu hängen, keine Halbseiltechnik benutzen, wenn es gleich nach dem Stand schwer ist und wenig Reibung im System ist, keinen Halbautomaten verwenden, wenn größere Kräfte auf den Sicherer kommen können, ein Sicherungsgerät, das dem Durchmesser der Seile angepasst ist und, und, und …

 

Wir untersuchten auch, wie viele kN hätten Lulus altes Seil und Rosas durchwetzte Exe noch gehalten? Dazu verlagerten wir uns mit ein paar ausgewählten Stücken unseres alten Materials bei Edelrid ins Labor für Materialprüfung. Am Ende waren dann sogar die Konsumkritischten von uns überzeugt, dass man altes Material getrost mal früher ausrangieren sollte, weil man‘s nicht immer sieht: manche Teile haben noch überraschend viel gehalten, dafür wie sie aussahen, andere dann doch erschreckend wenig.

 

Dort hat unser Ausflug zu Edelrid aber noch nicht aufgehört und am Ende rauchten uns ganz schön die Köpf von so viel neuem Input.

 

Technoklettern und Portaledges

 

Wie macht man das mit der technischen Fortbewegung an der Wand am effizientesten? Klettern können wir, aber was sind da so die Abläufe, wenn man den Fels nicht anfasst, sondern sich mit Leitern von Bolt zu Bolt hangelt?

 

Beim technischen Klettern ist alles erlaubt. In die Exe greifen, auf Bolts stehen, sich am Seil oder einer Selbstsicherung hochziehen, sich ins Seil setzen. Die Challenge: das Ganze so effektiv wie möglich zu machen, den Überblick über die vielen smarten Hilfsmittel behalten, die man zusätzlich am Gurt hat und die beim "schummeln" helfen. Gar nicht so leicht.

Was zum einen auf Anhieb super fix ging: das Portaledge aufzubauen! Zum anderen muss die Pinkelpause wohl überlegt sein und ist die Masterprobe eines jeden guten Teams.

 

 

Training für Kopf und Körper

Weiterer Höhepunkt des Lehrgangs waren die Tage die wir mit Maxi (Trainingsspezialist) und Kai (Mentaltrainer) verbringen durften. Wie schafft man es eigentlich strukturiertes Training mit einem so wetter- und jahreszeitambivalenten Sport wie dem Alpinismus zu verbinden? Wie mache ich richtig Pause? Wie viel Pause brauche ich? Wie beuge ich am besten Verletzungen vor? Wie kann mir Atmen und Visualisierung helfen eine schwierige Route zu klettern? Wie komme ich mit der Gesamtherausforderung klar?

 

Mit all diesen Fragen konnten uns Maxi und Kai als Experten auf ihrem Gebiet weiterhelfen. Trainieren müssen wir jetzt nur noch selbst. Körper und nicht zu vergessen: Kopf.

 

 

Abschließend noch zwei schlaue Zitate die in uns noch lange nachwirken werden:

 

"Man muss sich nicht platt fühlen, um gut trainiert zu haben" (Kai)

"Im Training muss man nicht gut sein. Man muss sich nicht beweisen" (Maxi)

 

 

Auch wenn es nicht so scheinen mag, die Corona Situation stellte uns auch bei diesem Lehrgang vor besondere Herausforderungen. Wir danken dem DAV und unseren Trainern, die Ernsthaftigkeit der Situation anzuerkennen und den Lehrgang auf eine verantwortungs- und rücksichtsvolle Weise möglich zu machen, die die Priorität des Gemeinwohls der Gesellschaft nicht hintenanstellt. Tests, Maske, Desinfektion, Abstand halten, bewusste Wahl von Transportmitteln. All das sind mittlerweile Maßnahmen und Überlegungen, die zur Normalität geworden sind.

 

 

Alpines Nachwuchs- und Förderkonzept des DAV

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