"Voll power Gas geben und abends richtig fertig sein"
20.03.2012, 10:26 Uhr
Interview mit Caro North
Du hast schon relativ früh mit dem Bergsteigen angefangen.
Ich bin in der Schweiz geboren. Dort haben meine Eltern ein Chalet, von dem aus wir auch Bergsteigen gegangen sind. Geklettert habe ich immer gerne; deshalb hat meine Mama, als wir nach Darmstadt gezogen sind, mich dort bei der DAV-Jugendgruppe angemeldet.
Mit der Jugendgruppe war ich dann auch viel auf Hochtouren. Zuerst waren Jugendleiter dabei, ab etwa 14,15 Jahren haben wir uns selbständig gemacht, für Gipfel wie Dom, Weißmies, Rimpfischhorn – die „Latsch-Viertausender“. Es mussten natürlich auch immer Volljährige dabei sein, um mit dem Auto hinzukommen, aber organisiert haben wir das ziemlich selbständig.
Mit 16 Jahren warst du dann schon am Aconcagua unterwegs – wie kam das und wie lief es?
Das war meine erste Expedition. Ich habe ein Schuljahr in Argentinien verbracht und natürlich mitbekommen, dass da der Aconcagua rumsteht, die Leute haben oft davon erzählt. Ein Kumpel einer Freundin war als Bergführer dort unterwegs und hat mich eingeladen, mitzukommen. Weil ich noch nicht 18 war, war das alles ein bisschen anstrengender, meine Eltern mussten eine Menge Formulare unterschreiben. Dieses Vertrauen fand ich super; nicht alle Eltern lassen ihre sechzehnjährige Tochter auf so hohe Berge steigen. Trotz meines Alters haben mich die geführten Gäste quasi als Bergführerassistentin betrachtet.
Am Schluss waren nur noch der Bergführer und ich übrig und sind alleine vom Lager auf 6000 Metern in Richtung Gipfel aufgebrochen. Aber mir ist es schon morgens schlecht gegangen, ich konnte nichts trinken, weil mir alles hochkam. Beim Aufstieg bin ich immer langsamer geworden und bekam Koordinationsschwierigkeiten, konnte die Schritthöhen nicht mehr abschätzen. Im Prinzip war ich höhenkrank, aber das habe ich damals nicht erkannt.
Hundert Meter unter dem Gipfel hat dann mein Kumpel gesagt, wir sollten umkehren. Da hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, zu zweit unterwegs zu sein. Alleine wäre ich nicht mehr runtergekommen, da wäre ich wohl einfach sitzen geblieben. Ständig bin ich gestürzt wegen der Koordinationsprobleme, immer wieder aufzustehen war furchtbar anstrengend. Ich weiß nicht, ob ich das ohne Hilfe geschafft hätte.
Hat dich dieses Erlebnis frustriert oder geängstigt?
Seltsamerweise hat es mich unter dem Strich eher motiviert. Direkt nach der Umkehr wollte ich es gleich nochmal probieren; etwas später ist mir die Lust vergangen; heute würde ich schon gerne wieder Ähnliches machen.
2011 hast Du an der JDAV-Mädchenexpedition zum Arapi in Albanien teilgenommen – was bleibt dir in Erinnerung, was hast du gelernt?
Bei dieser Expedition war einfach alles mega-genial. Besonders geil fand ich es, in der Wand die Seillängen voranzutreiben. Die neue Linie zu finden, uns Seillänge für Seillänge hochzuarbeiten. In der Gruppe mit den Mädels hatten wir eine Megastimmung, wir haben viel gelacht und nie gestritten.
Besonders im Gedächtnis sind mir die beiden letzten Tage in der Wand, wo wir die Route bis oben durchgezogen haben. Und dann der Tag, wo wir die Fixseile abgebaut haben, das war eine Scheißarbeit. Gelernt habe ich vor allem einiges zum Seilhandling. Ich habe viel Erfahrung sammeln können, das bringt künftig Schnelligkeit. Und wir haben viel gejümart.
Die Wand habt ihr mit Bohrhaken und Fixseilen erschlossen – ist dieser Stil für dich ok?
Ich komme eher aus einer Kletterkultur, wo es heißt: Was clean geht, sollte man auch clean gehen. Aber im Team muss man Rücksicht auf alle nehmen. Deshalb war der Stil für mich ok. Ich war allerdings sicher diejenige, die weniger Bohrhaken gesetzt hat; die anderen haben manchmal nachträglich noch zusätzliche Haken gesetzt. Ich hatte eh extrem viele Wandtage, weil es mir super gut gegangen ist.
Expedition – was bedeutet dieser Begriff für Dich?
Etwas ganz neues machen, einen Weg finden, irgendwie durchkommen wo noch niemand rauf ist. Meinen eigenen Weg suchen ist megagenial, das bedeutet viel mehr Freiheit als nur den Spuren früherer Begeher hinterherzuklettern.
Außerdem ist der Kontakt mit den Menschen, die dort leben, wichtig und cool. Wenn wir als Europäer nur kämen, eine Wand erstbegehen und wieder abhauen würden, wie Außerirdische, das wäre fast respektlos.
Was ist Dir wichtig beim Bergsteigen?
Spaß haben. Aber den habe ich sowieso immer. Cool ist, mit Leuten unterwegs zu sein, auf die man sich verlassen kann. Leistung zu vergleichen ist Mist, jeder hat Stärken und Schwächen, Wettbewerb macht schlechte Stimmung in Gruppen. Man muss ja niemanden beneiden, der besser klettern kann.
Welche Disziplin machst du am liebsten?
Am fittesten bin ich im alpinen Fels, und besonders mag ich cleane Risse, die man selber mit Friends und Klemmkeilen absichert. Das habe ich in meiner Kletterheimat gelernt: in der Pfalz, im Odenwald, in Heubach. Ich wurde da ziemlich früh schon rangeführt, und so lernt man’s halt. Ich kann auch ganz gut einschätzen, was die Friends und Keile taugen; manchmal liegen sie natürlich nicht so gut, dann darf man halt nicht fallen.
Welche Rolle spielt für dich der Stil beim Klettern?
Wenn man einen Riss absichern kann, soll man ihn nicht einbohren. Am Arapi war oben eine schöne Verschneidung mit Rissen, die haben wir auch nicht eingebohrt. Wenn ich einen geilen Granitriss habe, brauche ich normalerweise keine Haken zum Sichern. Eine schöne Route klettere ich natürlich auch wenn sie Bohrhaken hat, aber ich finde das oft schade. In richtig alpine, große Routen gehören keine Bohrhaken. Deswegen heißt es ja alpines Klettern.
Du hast geschrieben, dich reizt, „Mit den Mädels an die eigenen Grenzen zu gehen.“ Welche Rolle spielt für dich das Risiko?
Risiko gehört dazu zum Klettern, macht es zum Teil auch interessant: Du musst halt aufpassen, kannst nicht einfach hingehen wie zum Fußballspielen und wieder heimgehen. Das macht das Erlebnis viel voller, weil du total dabei sein musst. Ich denke, dass ich das Risiko gut einschätzen kann und auch umdrehen, wenn‘s sein muss, auch wenn es schade ist.
Aber du gehst gerne an deine Grenzen?
Dabei lernt man einfach mehr und wird stärker. An der Grenze klettern ist genial: voll power Gas geben, abends richtig fertig sein.
Und Kampf und Schinderei müssen sein?
Vor allem Biss. Das gehört einfach dazu.
Du sagst, deine Eltern hätten Angst, dass du es übertreibst und dich kaputt machst – gibt es dafür Anhaltspunkte?
Naja: Ich neige schon dazu, immer weiterzupowern. Wenn ich motiviert bin, kann ich einfach nicht aufhören, wenn’s wehtut, sondern mache erst recht weiter. Mittlerweile höre ich aber ab und zu mehr auf meinen Körper.
Dazu habe ich vorletztes Jahr etwas gelernt: Ich hatte mir auf Skitouren die Achillessehne wundgescheuert im Skischuh, bin aber trotzdem weiter gejoggt und geklettert. Mein Arzt hat mir Cortison gespritzt, dann habe ich weitergemacht. Beim Kader-Sichtungskurs in Chamonix war ich schmerzfrei und habe Vollgas gegeben, auch keine Schmerzen gespürt. Aber daheim hat dann der Fuß so wehgetan, dass der ganze Sommer kaputt war.
Wie sieht für dich ein perfekter Bergtag aus?
Den einen, perfekten Tag gibt’s nicht, weil mir alles Spaß macht. Wichtig ist: den ganzen Tag unterwegs sein, auf einer geilen Tour mit netten Leuten, Spaß haben, an die Grenzen gehen, viel und hart klettern – am liebsten was technisch Anspruchsvolles.
Was bedeutet für dich der Begriff Frauen-Bergsteigen?
Es kann auch gut sein, mit Jungs auf Tour zu gehen – aber ich finde es sehr cool, nur mit starken Mädels unterwegs zu sein. Da gibt es allerdings eher mal Konkurrenz. Mit Jungs vergleicht man sich meistens nicht, weil die tendenziell stärker sind. Aber ich vergleiche mich schon auch mal mit Jungs; das kann ja auch positiv sein und anspornen.
Du hast Kontrabass gelernt – spielst du noch regelmäßig?
Ich bin damit groß geworden, weil meine Eltern viel Musik machen. Ich finde das cool, spiele auch gerne, habe aber kaum noch Zeit dafür.
Was studierst du?
Ich studiere Geowissenschaften in Lausanne, auf französisch. Das habe ich in der Schule gelernt, aber auch durch meine Geburt in der Schweiz und als wir einige Jahre in Aix gelebt haben. Mein Vater hat viele Projektarbeiten in aller Welt gemacht; mit ihm haben wir auch einmal in Australien gelebt – von ihm habe ich wohl das Weltenbummeln.
Denkst du an eine Zukunft mit Familie und Kindern?
Das ist für mich noch voll weit weg. Heute genieße ich nur die Freiheit: Machen was ich will, da hinfahren wo gute Bedingungen sind. Nur auf mich achten müssen, auf niemand anderen. Jetzt zum Beispiel habe ich meine letzte Prüfung für dieses Semester hinter mir und werde erst mal ein paar Wochen mit dem VW-Bus meiner Eltern durchs Gebirge fahren. Da freue ich mich total drauf.
Kannst du dir vorstellen, je aufs Bergsteigen zu verzichten
Nee, das kann ich mir nicht vorstellen, es ist ein so wichtiger Lebensinhalt für mich. Es macht mich so glücklich, auch wenn es anstrengend ist, gibt mir Kraft. Alle die mich kennen, sind beeindruckt, was für eine Passion das ist. Sie haben nichts, wofür sie sich so motivieren können.
Es ist auch irgendwo eine Sucht. Meine Schwester hat mir das immer vorgeworfen. Aber es ist einfach so geil: die Freiheit, aber auch die Bewegung, mit dem Fels eins zu werden beim Klettern. Ein normaler Mädchen-Alltag ist eh nicht mein Ding, Shopping ist ein Graus für mich, und mich jeden morgen zu schminken habe ich keinen Bock.
Und wie taugt’s dir im Expedkader?
Das ist ganz gut, aber wir haben noch nicht so viel zusammen gemacht. Ich wohne hier in Lausanne ziemlich weit weg und kann nicht mitmachen, wenn die anderen am Wochenende etwas miteinander unternehmen. Aber wir werden uns schon zusammenraufen.
Was stellst du dir für die Abschluss-Expedition vor?
Indien oder der Himalaya würden mich reizen. Aber ich wünsche mir etwas technisch Anspruchsvolles und will nicht auf einen Achttausender latschen. Im Eis habe ich leider noch nicht so viel Erfahrung, da hoffe ich aber noch was zu lernen.