Frech und unverkrampft geht die Wahl-Innsbruckerin Charlotte Gild in die Berge – denn „wer immer nur macht was er kann, wird nicht besser“.
Du kommst gerade aus dem Eiscamp im Durancetal - erzähl doch mal.
Am ersten Tag haben wir zuerst die Techniken zu Standplatzbau und Schraubensetzen wiederholt. Das schadet nie. Anschließend haben wir uns im Val Fournel eingeklettert; dort war es teilweise mega-eingepickelt. Im Hauptgebiet Freissinières hatte es dieses Jahr leider nicht so viel Eis. Wir wollten die lange Route Geronimo machen, aber obwohl die angeblich am Tag vorher geklettert worden war, war die Säule abgebrochen.
Der vierte Tag war am coolsten: Die anderen sind die Säule von Viollins geklettert, wir den „Cousin Hubert“: eine eher schmalere Eisspur mit dünnerem Eis, links und rechts konnte man mit den Steigeisen in den Fels steigen. Das war witzig und anspruchsvoll, auf kleinen Absätzen konnte man trotzdem gut ausruhen.
Gegen Ende unserer Woche ist es zu warm geworden. Am fünften Tag kam Heinz Zak und wir sind zum Fotografieren einen ziemlich langen Zustieg in einen Mixed-Klettergarten hochgetappt, dort waren aber die Verhältnisse schlecht. So wurde ein Pausentag draus, das war nach vier Tagen Eisklettern schon ok. Im Fourneltal haben wir dann die Fotosession mit Heinz machen können, das war ziemlich lustig, weil er uns ständig rauf und runter gescheucht und Anweisungen gegeben hat: „Schlag nochmal, so dass es sprengt…“ Einen weiteren Versuch mit Yvonne und Heinz in einer Säulenroute haben wir gleich abgebrochen, weil es ziemlich getropft hat.
Am letzten Tag hatte es dann 20 Grad – da war natürlich nichts mehr mit Eisklettern. Wir sind also Sportklettern gegangen, das war voll lässig. Richtig viel im Eis ging auf dieser Woche leider nicht, aber es war trotzdem nett. Ursi hatte sich den Meniskus angerissen und war nicht dabei, das war schade. Aber sonst hat’s im Team gut gepasst: Wir haben auch darauf geachtet, mit neuen Partnerinnen zu klettern, mit denen man noch nicht im Eis unterwegs war.
Was gab’s sonst in diesem Winter, und was hast Du noch vor?
Mit dem Eis war’s ja generell mager, ein paar Skitouren sind gegangen. In zwei Wochen fahren wir nach Chamonix, danach möchte ich mit Yvonne und Ursi noch länger bleiben – wenn wir gut eingeklettert sind, schaun wir mal was geht. Ich bin ja ziemlich auf Nordwände gepolt. Letzten Herbst habe ich mit Innsbrucker Freunden die „Diagonale“ an der Schrammacher-Nordwand geklettert, das hat mir voll getaugt und hat mich auch schön ausgelastet. Ein bisschen zulegen sollte ich aber schon noch können…
Und im Sommer möchte ich mit Yvonne und Ursi für vier Wochen in die USA fahren: Yosemite, Indian Creek, Joshua Tree. Vorher sind wir mit dem Kader unterwegs… ich habe mir ein Sabbat-Halbjahr genommen und hoffe, dass ich das privat und mit dem Kader gut nutzen kann.
Wie bist du überhaupt zum Bergsteigen gekommen?
Durch meine Eltern: Meine Mutter stammt aus Bad Reichenhall und wir waren jedes Jahr bei den Großeltern; Bergsteigen und Skitouren sind wir zwar nicht so viel gegangen, aber ich habe die Berge gern gewonnen. Im Herbst 2008 bin ich nach Innsbruck gezogen und dort in einen Freundeskreis reingerutscht, der viel in die Berge gegangen ist. Das hat mich total motiviert und ich habe gleich Vollgas gegeben. Sonderlich viele Touren konnte ich seither allerdings noch nicht sammeln.
Das Klettern habe ich draußen gelernt, an der Martinswand und der Galerie. Die Halle hat mir nie so getaugt, ich klettere draußen auch viel besser. Inzwischen gehe ich natürlich zum Trainieren schon in die Halle, vor allem im Winter, aber lieber sind mir doch Eisklettern oder Skitouren. Seit ich im Expedkader bin, bin ich noch motivierter fürs Eis.
Welche Art von Bergsport machst du am liebsten?
Am liebsten bin ich im Fels. Es macht einfach Spaß: die Bewegung, eine Stelle durch coole Technik lösen, die Linie finden. Im Granit ist das ja nicht so schwer, ich gehe aber sehr gern in die Dolomiten, wo man die gute Linie zwischen dem nicht so festen Fels finden muss.
Meine erste große Tour war die Herzogkante mit einer Freundin im Herbst 2009; da haben wir uns ziemlich gefürchtet davor. Es ist ja nicht schwer, aber brüchig und man kann nicht viel legen. Der Hüttenwirt hat zuerst gestaunt: „Was, ihr wollt da rauf!“ Bei unserer Rückkehr war er ganz begeistert; er hatte uns den ganzen Tag beobachtet und hat uns gelobt, dass wir es super gemacht hätten.
Ist das alpine Klettern auch dein bevorzugter Stil?
Ja, ich gehe am liebsten alpine Routen, die man selber absichern muss. Da ist man noch mehr herausgefordert als bei Bohrhaken-Routen, wo man nur der Linie entlang klettern muss. Bei Alpinrouten man muss ein Gespür für die Linie entwickeln, das kommt erst mit den Jahren. Es macht auch Spaß, wenn man merkt, man lernt das. Die richtigen Placements für Friends und Keile zu finden ist nochmal eine andere psychische Herausforderung. Ich gehe lieber eine etwas leichtere alpine Route als eine schwierige mit Bohrhaken.
Kampf, Leiden und Schinderei am Berg – macht das Spaß oder ist es unvermeidbares Übel?
Es gehört einfach dazu – und ist das, was einen am Abend zufrieden macht. Allerdings merke ich manchmal beim Klettern – anders als beim Stapfen in einer Nordwand – die körperliche Anstrengung kaum, weil die psychische überwiegt und man sich so konzentriert.
Wo ich mich richtig plage, ist das Joggen; das macht zwar nicht so viel Spaß, trotzdem renne ich gelegentlich zum Trainieren den Forstweg zur Höttinger Alm hinauf. Es ist halt cool wenn man fit ist, wenn der Zustieg zu einer Tour locker geht.
Wie sieht dein perfekter Bergtag aus?
Das kann auch mal was Leichteres sein, wenn die Stimmung gut ist. Im Herbst hab ich mal mit Ursi die Blaueisumrahmung gemacht, das war richtig entspannt. Aber in Erinnerung bleiben vor allem die größeren Touren, wo man vorher plant, am Abend vorher alles durchgeht und Topos abzeichnet. Dann früh aufstehen, durchziehen, möglichst ohne Komplikationen, aber so, dass man richtig herausgefordert ist. Ich bin noch nicht oft umgedreht, aber zum Beispiel mal am Ortler, wo es deutlich zu warm war.
Du bist allerdings auch schon mal in eine Lawine geraten.
Das war im Januar 2011, eine Nasschneelawine an der Schöntalspitze im Sellrain. Der ganze Hang war schon weg, nur ein letztes Schneedreieck hing noch oben. Wir haben überlegt, wann das wohl kommt, und sind einzeln drunter durchgegangen. Dreißig Sekunden Risiko – dann kam es dummerweise genau in dem Moment, wo ich drunter war; eine klassische Fehlentscheidung.
Dabei habe ich allerdings auch gemerkt, was das wichtigste am Berg ist: gute Freunde. Ich war einen Meter tief verschüttet, mit der Zunge direkt am Schnee und unter extremem Druck. So eine Angst hatte ich noch nie. Ich habe meine Freunde über mir gehört – und sie konnten mich tatsächlich schnell ausgraben.
Hat das dein Verhältnis zum Risiko beeinflusst?
Mit Schnee bin ich vorsichtiger geworden, habe mehr Respekt vor steilen Hängen. Manchmal habe ich vielleicht sogar zuviel Angst, wo es vielleicht noch ok wäre, weiterzugehen.
An meinem allgemeinen Verhalten am Berg hat das Lawinenerlebnis aber nichts verändert. Ich kriege öfter vorgeworfen, dass ich zu risikobereit sei, weiß aber nicht ob das stimmt. Jedenfalls möchte ich nichts machen, was mir richtig heikel vorkommt. An die Leistungsgrenze gehen will ich schon, das ist klar: an die Grenze, wo das Risiko extreme Folgen hätte, aber nur bis zur Grenze und nicht drüber. Allerdings lasse ich keinen großen Abstand zur Grenze und versuche rauszuholen, was mir noch vertretbar erscheint. Wenn man etwas Schwierigeres machen will, muss man einfach manchmal an die Grenze gehen, sonst kommt man nicht weiter.
Ich bin auch schon in Touren eingestiegen, die für mich zu schwierig waren. Aber wenn ein Rückzug möglich ist, warum soll man dann nicht mal einsteigen, um etwas zu lernen? Man wird nicht besser, wenn man nur das klettert, was man eh kann. Das steht für mich fest: Ich bin noch nicht so gut, dass es mir ausreicht, ich will noch besser werden. Im Kader sind einige noch stärker als ich, für die Abschlussexpedition wäre es gut, wenn wir alle ungefähr ein gleiches Niveau hätten. Da kann ich noch was rausholen und möchte das auch gern.
Wie geht’s dir denn im Kader? Und hast du schon ein Ziel für die Abschlussexpedition im Auge?
Der Kader taugt mir voll gut, ich finde es so super, dass ich genommen worden bin, nachdem ich es kaum erwartet hatte. Das ist das beste was mir passieren konnte: Man wird gefördert und motiviert. Ursi und Yvonne wohnen in der Nähe, mit denen mache ich viel. Für die Abschlussexpedition sind wir gerade am Überlegen. Himalaja oder Pakistan fände ich gut. Ich soll über Alaska recherchieren, das scheint ziemlich hart zu sein.
Ist es dir generell wichtig, mit Frauen bergzusteigen?
Mir kommt es nicht drauf an, ob der Seilpartner eine Frau oder ein Mann ist – das Leistungsniveau muss passen. Man sollte ungefähr gleich stark sein, so dass jeder die gleiche Verantwortung trägt und dass nicht von vornherein klar ist, wer die schweren Seillängen macht, sondern dass man sich drum streitet. Ich gehe allerdings auch mal mit einem schwächeren Partner, wo ich die Verantwortung tragen muss. Oder auch mit meinem stärkeren Freund in eine schwierigere Route wie die „Waffenlos“ an der Cima Scotoni: Die war brüchig, schwierig, hatte schlechte Stände und wenig Zwischenhaken. Schon die Linienfindung war schwierig, weil sie nur wenig Wiederholungen hat. Für mich persönlich war das die krasseste Felstour wo ich je drin war – aber ich zähle sie nicht zu meinen „Highlights“, weil ich nur nachgestiegen bin.
In Chamonix dagegen hast du die weibliche Überlegenheit genossen, als du mit einer Freundin die Männerseilschaften überholt hast?
Das war mein bester Sommerurlaub bisher: zwei Wochen Chamonix im Sommer 2011, nur schönes Wetter. Zuerst haben wir am Envers des Aiguilles gezeltet und fünf Touren geklettert. Da hatten wir in der Hektik des Aufbruchs zu wenig Essen eingepackt, am Schluss sind wir kaum noch die Eisenleitern nach Montenvers raufgekommen – aber wir wollten einfach nicht runtergehen, solange schönes Wetter war. Nach einem Talabstecher ins Schwimmbad wurde schon wieder schönes Wetter angesagt: Dann haben wir nochmal drei Tage unterm Grand Capucin gezeltet und zuletzt zwei Tage am Lac Bleu.
Wir waren die einzige Frauenseilschaft in den Routen, und manche Männer waren sauer wenn wir vorbei wollten oder haben sich zumindest gewundert. Das Wesentliche für mich war aber, gut unterwegs zu sein. Eine echt coole Zeit mit meiner Freundin.
Welche Leistungen anderer Bergsteiger faszinieren dich?
Eine Route extrem schnell zu klettern beeindruckt mich nicht so besonders. Erstbegehungen finde ich interessanter, wenn man nicht weiß was auf einen zukommt. Das wäre auch ein Traum für mich, ist aber noch langer Weg. Mich mit der Bohrmaschine irgendwo hinaufschlossern wollte ich eh nicht unbedingt.
Was machst du, wenn du mal nicht am Berg bist?
Ich koche und esse gern was Gutes – das habe ich von meinem Vater, der wahnsinnig gern, viel und gut kocht. Fisch mag ich besonders, zum Beispiel habe ich neulich mal einen Lachs mit Garnelen in Limetten-Safran-Sauce gemacht; aber nach einer Bergtour können auch mal Spaghetti Bolognese das beste sein.
Außerdem höre sehr gerne und sehr viel Musik, aber keine bevorzugte Richtung, die ganze Palette quer durch. Pop mag ich nicht so, aber Jazz, gemütlichen Reggeae oder Electro Swing. Und alte Klassiker wie die Doors, Lou Reed oder Neil Young.
Und wenn du mal Beruf, Familie und Kinder hast? Wirst du dann noch extrem Bergsteigen?
Familie ist schon irgendwann ein Ziel, ich möchte nicht allein stehen und nur mein Berg-Ding durchziehen. Ob ich dann vorsichtiger werde? Wahrscheinlich würde mich das nicht beeinflussen. Ich bin ja noch jung und glaube, dass ich noch nicht am Ende meiner Weisheit bin. Vielleicht fühlt sich in ein paar Jahren vieles anders an.
Zum Beruf: Während meinem Geographiestudium habe ich oft als Sommerjobs Kartierungen gemacht – das Arbeiten im Freien taugt mir gut. Ich möchte auch gerne in Innsbruck bleiben, das ist ein optimaler Stützpunkt. Aus den Bergen wegzuziehen, mag ich mir nicht vorstellen – Berge sollten immer in der Nähe sein.