"Danach zum Wirt auf eine Halbe"
Interview mit Ursula Wolfgruber
Du studierst Grundschul-Lehramt – ein Traumberuf für Bergsteiger wegen der Ferien?
Nicht wegen der Ferien. Nach dem Abi habe ich mich für zwei mögliche Studien interessiert. Zuerst bin ich meinem größten Interesse gefolgt und habe Geographie studiert, dann aber gemerkt, dass mich die Arbeit wahrscheinlich nicht so erfüllt. Deshalb habe ich nach dem Bachelor kein Masterstudium mehr angehängt, sondern Lehramt für Grundschule studiert – mit dem „Unterrichtsfach“ Geographie und drei weiteren „Didaktikfächern“. An der Grundschule unterrichtet man alles, auch Musik. Das finde ich gut.
Lehrer ist eine gute Berufsperspektive für mich, ich mag Kinder und kann gut mit ihnen arbeiten. Früher habe ich schon immer mit den Nachbarskindern gespielt, seit ich 16 bin leite ich Jugendfreizeiten und arbeite als Kinderskilehrer, schon lange bin ich in der Kinder- und Jugendarbeit tätig.
Du finanzierst dein Studium sogar durch Kletterkurse und Kinder- und Jugendfreizeiten. Was macht dir daran Spaß?
Tatsächlich: Meine Haupteinnahmequelle sind Kinderfreizeiten und Kinderkletterkurse, zum Beispiel für die Sektionen München/Oberland, oder Kinderskikurse in Anger bei Bad Reichenhall.
Das macht mir viel Spaß: Es ist spannend, wie die Kinder reagieren, was sie für Fragen stellen. Sie sind sehr angenehm, sehr ehrlich, man kann ziemlich direkt reden. Manchmal ist es auch lustig, was sie an Sprüchen rausbringen. Ich brauche mich nicht verstellen, kann sein wie ich bin, auch mal zwider.
Du kommst aus einer echten Bergler-Familie: Der Vater hat als Bergführer im DAV-Lehrteam Bergsteigen gearbeitet, der Bruder war im Expedkader 2005 – hat dich das motiviert oder beeinflusst?
Den Grundstein für meine Bergleidenschaft haben auf jeden Fall die Eltern gelegt. Familienurlaub war bei uns immer Wandern, Berggehen oder Skitourengehen: Mit sieben Jahren habe ich die erste Skitour gemacht und dabei selber meinen Rucksack getragen. Klettern kam über die Geschwister. Die ältere Schwester und der Bruder machten zuerst Judo, später dann Klettern, ich bin mitgegangen. Dadurch, dass wir zu dritt alles gemeinsam gemacht haben, mussten unsere Eltern nur einmal fahren.
Wie kamst du dann zum ambitionierten Bergsteigen?
Die Ambition kam aus mir raus. In der Pubertät war ich noch mehr am Weggehen und Ausschlafen interessiert. Mit 16 habe ich wieder mit Skitouren angefangen, bin auch Skitourenrennen gelaufen, im Sommer kam dann der Kick fürs Klettern. Da habe ich gemerkt, dass da was geht. Mit 18 konnte ich selbstständig Autofahren, da habe ich das ausgelebt: Sich was raussuchen, probieren, froh sein wenn’s klappt. Entweder traf man sich im Heimklettergarten Karlstein bei Bad Reichenhall oder Freitags in der Jugendgruppe, und da hat man sich verabredet fürs Wochenende.
Meine erste Alpintour war die direkte Westwand am Kleinen Watzmann, dann kamen die anderen Klassiker in der Umgebung dran, etwa die Routen von Hinterstoisser und Kurz. Fürs Sportklettern war ich gar nicht so ambitioniert, im Klettergarten hat man sich die Basiscs geholt und sich getroffen, der Fokus lag auf Alpinklettern. Dabei bin ich nie so richtig schwer gegangen, vielleicht bis VII-. Am Anfang war der Gipfel oder die Wand das wichtigste, alpin schwerer geklettert bin ich erst, als es auch im Sportklettern schwerer wurde.
Dieses schwierigere Sportklettern kam später, etwa ab 2008, damals konnte ich meine erste 7c (IX) klettern, nach viel Bouldern im Winter. Ich habe meine Bachelorarbeit für Geographie über den Klettergarten Karlstein geschrieben: „Auswirkungen des Kletterns auf das Ökosystem“ – ich war zuständig für die DAV-Kartierung der Klettergärten im östlichen Oberbayern. Und wenn man so oft in einem Gebiet ist, kann man auch mal eine Route projektieren. Mittlerweile habe ich eine Handvoll 7cs als Projekt geklettert. Alpin war meine schwerste Route die „Moulin Rouge“ in der Rotwand in den Dolomiten, IX- mit Normalhaken-Absicherung.
Ganz klar das Felsklettern, wobei ich unentschieden bin ob lieber alpin oder im Klettergarten, ich mag beides. An Gebieten liebe ich die Dolomiten, aber auch Risse in Granit oder Sandstein.
Was macht für dich einen guten Bergtag aus?
Eine ansprechende Linie. Sich gut und harmonisch mit dem Seilpartner verstehen. Das Zusammenspiel, dass beide gefightet und sich unterstützt haben. Danach noch zum Wirt auf eine Halbe. Dann ist ein Tag rundum gelungen.
Wie suchst du deine Tourenziele aus, wie gehst du sie an?
Einiges bekommt man aus Erzählungen von anderen mit, anderes findet man im Internet oder im Führer. Manchmal schnappt man auch spontan was auf, dann heißt es schauen, ob man jemanden dafür begeistern kann.
Wunschrouten?
Es gibt immer welche, aber die Liste wird nie kürzer, egal wie viel man gemacht hat. Ich würde gerne mal die Nose machen, nachdem ich die Salathe schon gemacht habe. An den Zinnen „Ötzi trifft Yeti“ (da musste ich mal umdrehen) oder die „Gelbe Mauer“. Die Klassiker in den Alpen, die großen Nordwände. Auch mal ein höherer Schneeberg im Himalaya reizt mich, egal ob Fünf-, Sechs-oder Siebentausend, hauptsächlich schön und ansprechend. Ich möchte einfach mal das gesamte einer Expedition erleben, die Reise, das Abenteuer.
Was gab’s an Highlights in jüngerer Zeit?
Alles gepasst hat im Herbst 2011 bei der „Opera Vertical“ an der Torsäule im Hochkönig. Wir waren zu dritt unterwegs, und alles war rundum gut. Wir haben gut als Team funktioniert, ich hatte einen guten Tag. In einer 8+-Länge bin ich rausgeflogen, eine Achter ging onsight. An diese Route würde ich schon nochmal hingehen, um sie komplett freizuklettern.
Willst du deine alpinen Routen auch sauber punkten, also komplett frei durchsteigen?
Das möchte ich mal angehen, eine Tour an meiner Leistungsgrenze zu punkten. Das gibt ein ganz anderes Erlebnis, als sich einfach nur irgendwie durchgekämpft zu haben. Aber es ist mehr Aufwand, man braucht einen Partner dafür, muss das richtige Wetter haben und immer wieder hinlaufen. Am besten geht das bei Projekten, die näher an der Heimat liegen.
Wie wichtig sind dir Leistung und Schinderei am Berg?
Bei einem ambitionierten Ziel, wenn die Motivation stimmt, plage ich mich auch gerne. Ich geh’s aber auch mal gemütlich an, wenn das Ziel eh nicht erreichbar wirkt. Ich muss mich nicht unbedingt ins Vogelwilde reinstürzen. Gerne warte ich auch auf gute Verhältnisse, es muss nicht zwingend zach sein. Aber ich kann auch mal leiden, wenn’s für eine Wand nötig ist.
Und Abenteuer und Risiko?
Kommt sehr darauf an, wie wichtig mir das Ziel oder die Route ist. Früher mal war das anders, ich habe schon die ein oder andere haarige Situation erlebt oder was gemacht, was ich jetzt vielleicht nicht mehr täte. Mit 18, 19 zum Beispiel wollte ich immer die Ortler-Nordwand gehen, dann sind zwei Berchtesgadener Bekannte darin durch Eisschlag gestorben. Deshalb möchte ich heute diese Wand nicht mehr machen. Das heißt, ich überlege mir genauer, ob’s dafür steht, ob das Ziel das Risiko wert ist.
Früher habe ich vielleicht zuwenig über die Folgen nachgedacht. Heute wäge ich genauer ab. Der Ortler ist nicht so interessant für mich, dann gehe ich das Eisschlagrisiko nicht ein.
So eine Entscheidung muss man aber gemeinsam treffen, das Team muss sich einig sein, da soll man keinem dreinreden und darf niemanden überreden oder zwingen.
Bist du lieber mit Frauen oder Männern unterwegs?
Das ist mir egal. Man muss sich mit der Person verstehen, es muss passen. In der Praxis ist es bei mir ziemlich ausgewogen. Dank dem Kader habe ich jetzt mehr Ansprechpartnerinnen als vorher, denn hier gibt’s nicht so viele ambitionierte Frauen.
Wie gefällt es Dir im Expedkader?
Gut. Alle im Team sind super, wir kommen gut miteinander aus und ich bin gerne mit den anderen unterwegs. Ich finde, es läuft sehr locker ab, und für mich ist es motivierend, obwohl wir als erster Damenkader in einer Pioniersituation sind. Ich war es bisher nicht gewohnt, mit fünf gleichaltrigen Frauen unterwegs zu sein. Die bringen Ideen ein, auf die man selber nicht gekommen wäre.
Früher war ich meistens mit Männern unterwegs; die haben im Zweifelsfall die Entscheidungen getroffen, weil sie meist älter, erfahrener, besser waren. Und ich war eher defensiv. Mit der wachsenden Erfahrung hat sich das geändert.
Spielt es eine Rolle, dass es ein reines Frauenteam ist?
Ich finde das bereichernd und motivierend. Der Kader ist für mich eh das Zuckerl neben dem Studium. So etwa nach dem Motto: Fürs Studium anstrengen, danach der Kader als Belohnung. Er bietet mir die Möglichkeit, viel zu lernen und nächstes Jahr auf Expedition zu fahren.
Dass es ein reines Frauenteam ist, spielt keine so große Rolle – ein gemischtes Team wäre genauso gut. Nur als einzige Frau unter lauter Männern wäre es vielleicht seltsam.
Was hast Du bisher gelernt?
Ein Schlüsselerlebnis war für mich die „Moulin Rouge“, wo ich gemerkt habe: da geht noch was. Das hat mein Selbstvertrauen für schwere alpine Routen super aufgebaut. Wichtig sind auch die Kontakte zu den anderen im Team; und über die lernt man wieder andere kennen.
Habt Ihr Euer Abschlussziel schon im Blick?
Es geht nach Indien in das Garhwal Himalaya, ein Tal das bisher nur zwei uns bekannte Expeditionen zu Gesicht bekommen haben….
Ursula Wolfgruber (*6.12.1985) studiert Lehramt (Grundschule) in München, ist Fachübungsleiterin Hochtouren und aktiv in der Jungmannschaft der DAV-Sektion Bad Reichenhall.
Highlights
* “Opera vertical” (200 m, VIII+), Torsäule
* „Direttisima“ (300 m, VIII), Predigtstuhl
* „Moulin Rouge“ (300 m, IX-), Rotwand
* „Salathé Wall“ (1000 m, VI+, C2), El Capitan
* „Rébuffat/Terray“ (500 m, ED-, WI III, 5 M)
* „Bumillerpfeiler“ (800 m, TD+, 60°, V+), Piz Palü