Logo-DAV-116x55px

Abschied vom Woo-Lii-Meister

Jim Bridwell: 1944 – 2018

21.02.2018, 14:00 Uhr

Am 16. Februar starb im Alter von 73 Jahren Jim Bridwell, eine Yosemite-Legende, der im „Valley“, aber auch an den wildesten Wänden weltweit viele Routen in neuen Dimensionen von Schwierigkeit und psychischem Anspruch eröffnet hatte.

Er war ein Radikaler, ein Mann mit Prinzipien. „Klettern ist nicht für jeden. Und ich finde es nicht in Ordnung, die Vergangenheit aus persönlicher Ambition zu zerstören. Man malt der Mona Lisa keinen Schnurrbart an!“ klagte er über den heutigen Trend zu mehr Sicherheit – in seinen einst haarsträubend riskanten Technorouten am El Capitan wie „Pacific Ocean Wall“, „Zenyatta Mondatta“ oder „Sea of Dreams“ gibt es heute bis zu fünfmal so viele Löcher für die Fortbewegung mit Cliffhängern wie er bei der Erstbegehung gebohrt hatte.

 

Mit solchen Routen hatte „The Bird“ vor allem in den 1970er Jahren die Maßstäbe des Yosemite-Kletterns neu kalibriert. Aber er war nicht nur ein Haken-, Birdbeak- und Cliffkünstler, er machte auch die ersten Freibegehungen im achten Grad (El Capitan Westwand, Nabisco Wall, Butterfingers) und kletterte als erster die „Nose“ (1000 m, VII, C2) an einem Tag. Das Bild der Speedbegeher – Bridwell, Billy Westbay, John Long – unter der Wand, mit bunten Hosen und psychedelischen Westen auf nacktem Oberkörper, Kippen im Mundwinkel hängend, ist eine Ikone der kalifornischen Klettermythologie. Von Bridwell stammt aber auch der Genussklassiker „Snake Dike“ am Half Dome, und er beteiligte sich an der Gründung des Yosemite-Bergrettungsdienstes YOSAR.

 

Ein Mann von Prinzipien

Ein Selbstdenker war er, provokant, eigensinnig, kompromisslos. Inspiriert von der Hippie- und Drogenbewegung, aber am Berg souverän und stark. Im Basislager des Cerro Torre zog er sich 1979 so viel LSD durch, dass seine Partner John Bachar und Mike Graham heimfuhren – mit der Zufallsbekanntschaft Steve Brewer gelang Bridwell dann die erste Besteigung des Gipfels über die Kompressorroute; die Gipfelwand, in der Cesare Maestri seine eigenen Bohrhaken abgeschlagen hatte, eroberte er in technischer Yosemite-Kletterei. Als 2012 zwei amerikanische Landsleute die meisten Bohrhaken dort entfernten, kritisierte er das entschieden, obwohl Maestris Stil der „Erschlosserung“ eigentlich seinem eigenen Ideal, nur die nötigsten Hilfsmittel zu verwenden, widersprach. Denn „Die Erstbegehung ist der Standard und das Erbe für alle anderen Menschen, geschaffen zu einem bestimmten Moment der Geschichte. Alle müssen diesen Standard erhalten, nicht ihn ändern.“ Ein Mann von Prinzipien.

Bridwell (*29.7.1944) war nicht nur ein nervenstarker Aid- und begabter Freikletterer. 1980 absolvierte er die Bergführerausbildung und führte auch Expeditionen im Himalaya. Am Pumori (7145 m) eröffnete er im Winter 1982 eine neue Route, er stieg die klassische Eiger-Nordwand und fand den Patagonien-Megaklassiker „Exocet“ (500 m, WI 5+, VI) an der Aguja Standhardt.

Alpingeschichte in zweierlei Hinsicht schrieb er mit der Route „The dance of the Woo-Lii Masters“ (A4) in der Ostwand des Moose’s Tooth in Alaska, die er im Winter 1981 zusammen mit dem ebenso legendären Mugs Stump erstbeging – und für die sein Motto gelten darf: „My best vacation is your worst nightmare“ (mein bester Urlaub ist dein schlimmster Albtraum). In vier Tagen kämpften sie sich durch die verschneite Felswand, für die A4 nur ein ungefährer Hinweis auf die Schwierigkeiten ist. Beim Abseilen durch unbekanntes Gelände fand er erst nach verzweifeltem Suchen eine Schuppe, die endlich einen sicheren Abseilstand bot.

 

Routen und Situationen am Rande des Machbaren

„Eine traurige, süße Rhapsodie von Gefühlen begann mich zu überfluten. Ich sah die Gesichter von Menschen, die ich liebte und denen ich Liebe schuldete. Es ist traurig, dass wir die schönen täglichen Kleinigkeiten wie Guten Tag sagen oder Geschirrspülen so wenig zu schätzen wissen. Du vermisst Wasser nicht, bevor dein Brunnen trockenfällt“ schrieb er in der Geschichte „The dance of the Woo-Lii Masters“ über die Erstbegehung (nachzulesen in „Kopf in der Wand“, Panico Verlag). Der Titel der Route und der Story spielt auf ein Buch von Gary Zukav über die modernen Konzepte der Quantenphysik an – in der bekanntlich gelegentlich erst die Messung festlegt, was Realität ist: ähnlich wie beim Bergsteigen, wo nur der Versuch zeigt, ob der Cliff oder die Schuppe hält und die Tour überlebt wird.

 

Als Schrödingersche Katze war Bridwell oft unterwegs, in einer Überlagerung von tot und lebendig, in Routen und Situationen am Rande des Machbaren – und doch war er einer von denen, die überlebt haben. Für Geisteszustände, die vom Heisenbergschen Unschärfeprinzip gesteuert schienen, war er offen, Drogen waren ihm ein willkommenes Werkzeug zur Erforschung alternativer Wirklichkeiten. So schrieb er über den Vorabend des Aufbruchs zum Moose’s Tooth: „Die Nacht über berieten wir unter Verbrauch von reichlich Whisky, ob wir noch einen weiteren Tag warten sollten. Am Morgen riet mir eine innere Stimme zum Aufbruch, vielleicht die des Whiskys. Sein Einfluss ist doch immer wieder beträchtlich.“

Nicht dem Alkohol zuzuschreiben ist aber wohl der Leberschaden, an dem er gestorben ist: Nachdem er sich bei einer Borneo-Durchquerung hatte tätowieren lassen, erkrankte er an Hepatitis C. Die Spätfolgen davon waren wohl verantwortlich dafür, dass sich sein Sohn Anfang des Jahres an die Kletterergemeinschaft wendete und um finanzielle Unterstützung bitten musste. Bridwells Körper konnte nicht mehr. Den Gang zum Arzt hatte der Überlebenskünstler lange gescheut, das amerikanische Gesundheitssystem zeichnet sich bekanntlich nicht durch eine gute Versorgung und finanzielle Absicherung aus. Am 16. Februar hat Jim Bridwell die hiesige Realität endgültig verlassen, er hinterlässt seine Frau Peggy und den Sohn Layton, benannt nach seinem Kletteridol Layton Kor. Und es bleiben jede Menge Routen rund um die Welt, in denen Bergsteiger Gelegenheit finden, Willen und Können an der Realität der Welt zu reiben.

 

Andi Dick