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„Scheitern heißt: wenn ich sterbe.“

Ueli Steck tödlich verunglückt

02.05.2017, 15:35 Uhr

Am 30. April stürzte der Schweizer Spitzenbergsteiger Ueli Steck tödlich ab. Mit Ueli Steck (* 4.10.1976) verliert das moderne Bergsteigen einen seiner herausragenden Protagonisten.

Geschwindigkeitsrekorde und anspruchsvolle Erstbegehungen

Die Überschreitung von Everest und Lhotse ohne Hilfssauerstoff innerhalb von 48 Stunden war Ueli Stecks großes Ziel. Nach heutigem Informationsstand geschah der Unfall bei einer Akklimatisationstour, die er alleine am Nuptse unternahm.

 

Mit inspirierenden Leistungen hatte Ueli Steck in den letzten eineinhalb Jahrzehnten dazu beigetragen, die Perspektive im Leistungsalpinismus zu versportlichen und dadurch zu erweitern. Die Grundlage dafür waren ein hohes technisches Können und außergewöhnliche Ausdauer, für die er konsequent professionell trainierte. Öffentlichkeitswirksame Erfolge waren Geschwindigkeitsrekorde an den großen Alpen-Nordwänden – mit anspruchsvollen Erstbegehungen konnte er auch die Szene beeindrucken.

 

Der gelernte Zimmermann durchstieg schon mit 18 Jahren die Eiger-Nordwand, später war er dort an außergewöhnlichen Erstbegehungen wie „The Young Spider“ (1600 m, 7a, A2, WI 6, M7, 2001) oder „Paciencia“ (900 m, IX+/X-, erste Rotpunktbegehung, 2008) beteiligt; „The Young Spider“ wiederholte er fünf Jahre nach der Erstbegehung (mit Stephan Siegrist) alleine im Winter in fünf Tagen. Auch an großen Weltbergen zeigte er sein Können: So kletterte er am El Capitan im Yosemite Valley die Routen „Golden Gate“ (900 m, IX+/X-, onsight bis auf eine leichtere Seillänge) und „Free Rider“ (1000 m, IX) frei. In Nepal machte er innerhalb weniger Tage zwei schnelle Solo-Erstbegehungen am Tawoche (6515 m, Ostwand) und Cholatse (6440 m, Nordwand). Für die Nordwand (2000 m, VI, A0, M7+, 85°) am Tengkampoche (6500 m) bekamen er und Simon Anthamatten den Piolet d’Or 2009. Er kletterte schwere Routen in Patagonien und Alaska und bestieg mehrere Achttausender, unter anderem den Mount Everest ohne Hilfssauerstoff und die Shisha Pangma solo durch die Südwand.

 

"The Swiss Machine"

Den Spitznamen „The Swiss Machine“ erwarb Steck durch seine Speedbegehungen. So komplettierte er 2008 die „drei großen Nordwände“ der Alpen in Rekordzeiten: Eiger 2:47 Std., Matterhorn 1:56 Std. und Grandes Jorasses (McIntyre-Route) 2:21 Std. Als Dani Arnold seinen Eiger-Rekord unterboten hatte, zog er 2015 nochmal los und verbesserte die Zeit auf 2:22:50 Std. Er trainierte stets systematisch und unter wissenschaftlicher Begleitung. Deshalb konnte er ohne spezielle Vorbereitung den New York Marathon in 3:04 Std. laufen.

Ein Bergsteigerleben am Limit der Weltspitze hat auch Schattenseiten: So hatte er 2007 Glück, als er im unteren Teil der Annapurna-Südwand 200 Meter abstürzte, aber überlebte. Im Jahr darauf brachen er und Simon Anthamatten einen weiteren Versuch dort ab, um einem baskischen Bergsteiger zu Hilfe zu kommen – leider zu spät. 2013 geriet er zusammen mit Simone Moro (ITA) und Jonathan Griffith (GBR) am Everest in eine gewalttätige Auseinandersetzung mit nepalischen Bergführern.

2014 starben Sebastian Haag (GER) und Andrea Zambaldi (ITA) an der Shishapangma in einer Lawine, vor Stecks Augen. 2015 bestieg er die 82 Alpen-Viertausender in 62 Tagen – kein ganz neues Projekt, und doch musste ein erster Partner nach einer Verletzung aussteigen, ein anderer stürzte dabei tödlich ab.

 

Zweifel in der Bergsport-Szene

Gespalten ist die Bergsportszene noch heute angesichts seiner Solo-Erstbegehung in der Südwand (2500 m) der Annapurna. 2014 beging er die Route free solo in 28 Stunden hinauf und hinunter (mit Abseilen) – bei Nacht, weil nur da Windstille herrschte; in einer Minilawine verlor er seine Kamera; GPS oder Tracker-Uhr hatte er auch nicht dabei. So konnte er seine Leistung nicht belegen und auch nicht beobachtet werden, einige Spitzenbergsteiger zweifelten sie deshalb an. Viele andere aber glauben daran, angesichts seiner sonstigen Performance und seines ehrlichen, bescheidenen Wesens. Die Jury des Piolet d’Or verlieh ihm die renommierte Auszeichnung ein zweites Mal. Weitere Preise waren der Eiger Award 2008, der Karl Unterkircher Award 2014 und der National Geographic Adventurerer of the Year 2015; für den Rettungsversuch an der Annapurna erhielten Steck und Anthamatten 2008 den Prix Courage der Zeitschrift Beobachter.

 

1200 Stunden Training für das letzte Projekt

Stecks letztes Projekt war eine Aufgabe, die schon lange auf der Hand gelegen hatte, aber noch von niemandem angegangen worden war: Mit seinem nepalischen Partner Tenji Sherpa wollte er in 48 Stunden über das Hornbeincouloir den Everest (8850 m) besteigen, absteigen zum Südsattel, über die Urubkovariante auf den Lhotse (8506 m) und zurück zum Camp. Eine elegante Kombination in höchster Höhe, eine konditionelle Aufgabe mit alpintechnischem Anspruch. Im Februar verbrachte er zum Training zwei Wochen in Nepal, rannte in 13 Tagen 16.200 Höhenmeter und 236 Kilometer in Höhen von über 4700 Metern, bestieg dabei dreimal den Trekkinggipfel Island Peak (6189 m). 2016 hatte er 1200 Stunden trainiert, davon 296 Stunden Kraft für Arme und Beine. Vor dem Aufbruch definierte er, was für ihn ein Scheitern wäre: Verletzung oder Tod. Am 12. April waren Steck und Tenji im Everest-Basislager eingetroffen, hatten Camp 1 (6400 m) aufgebaut und sich in weiteren Aufstiegen bis 7000 Meter akklimatisiert. Bei einem solchen Vorbereitungstrip stürzte Ueli Steck tödlich ab. Seine Frau Nicole und seine Eltern reisten nach Nepal – er soll in dem Land beigesetzt werden, wo die Berge seines letzten Traumes stehen.