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Free Solo Rider: Alex Honnold

08.06.2017, 15:26 Uhr

Als „Mondlandung des Free-Solo-Kletterns“ bezeichnete kein Geringerer als Tommy Caldwell (USA) die Leistung seines Landsmanns: Am Samstag, 3. Juni, stieg Alex Honnold in 3:56 Stunden free solo durch die Route „Freerider“ (900 m, IX+) am El Capitan im Yosemite Valley.


Das ist die mit unfassbarem Abstand schwerste Freikletterei in einer großen Wand, die jemals in diesem Stil, also alleine, frei und ohne Seil, begangen wurde.

Freerider, eine „leichtere“ Variante zur Salathé Wall, wurde 1998 erstbegangen von Alexander Huber. Der jüngere der „Huberbuam“ schockierte dann 2002 die Kletterwelt mit seiner Free-Solo-Begehung der „Hasse-Brandler“ (500 m, VIII+) in der Nordwand der Großen Zinne, mit der er den Maßstab für das Soloklettern in großen Wänden auf ein neues Niveau hob. Seit 2008 ist Alex Honnold ein führender Protagonist dieses ausgefallenen Sports; damals stieg er in 83 Minuten durch den „Moonlight Buttress“ (360 m, IX-) im Zion National Park. 2009 gelang ihm die erste Free-Solo-Begehung der Half-Dome-Nordwestwand (600 m, VIII+) im Yosemite; dafür wurde er 2010 von der Zeitschrift National Geographic als „Abenteurer des Jahres“ geehrt. Noch einen drauf legte er 2014 mit dem Free Solo von „Sendero Luminoso“ (450 m, IX-) am El Potrero Chico in Mexico. Eine vergleichbare Leistung hatte sonst wohl nur der Österreicher Hansjörg Auer erbracht, der 2007 den „Weg durch den Fisch“ (800 m, IX-) an der Marmolada-Südwand nach nur flüchtigem Auschecken beim Abseilen free solo geklettert war.

 

Eine neue Dimension

Der Freerider durch die ikonische Wand des El Capitan ist nun ein Schritt in eine neue Dimension dieser psychisch anspruchsvollen Bergsport-Disziplin. Wie beim „Fisch“ fordert auch der „Freerider“ im unteren Teil anspruchsvolle Reibungskletterei auf dem berüchtigt glattpolierten Yosemite-Granit („wie Gehen auf Glas“, so Honnold). Er bietet aber auch ein heikles „Boulder Problem“ mit einem weiten Spreizschritt von winzigen Griffen aus und saugt Energie mit langen, anstrengenden Risskletterpassagen. Für Honnold allerdings, der den oberen zehnten Grad beherrscht, war das eher „four hours‘ light exercise“ – also vier Stunden leichter Belastung, die ihn nicht am nachmittags fälligen Hangboardtraining hindern sollte. Amerikanisches Schein-Understatement?

Jedenfalls waren die vier Stunden hochkonzentrierter Maximal-Exposition ein Highlight seines extremen Lebens: „So befriedigt war ich noch niemals. Es war genau was ich erhofft hatte. Es hat sich so gut angefühlt, alles lief perfekt.“ Das mag freilich auch an der peniblen Vorbereitung auf das Hochrisikoprojekt liegen, das Honnold die letzten Jahre als Traumziel motiviert hatte. „Als ich vor Jahren erstmals genauer darüber nachdachte, was ein Free Solo im Freerider an mentaler Belastung bedeuten würde, fand ich ein halbes Dutzend Seillängen oder Passagen, die mir Angst machten. Seither habe ich meine Komfortzone ausgeweitet, so dass diese Zonen, die völlig verrückt wirkten, schließlich in den Bereich des Möglichen rückten“, schildert Honnold den Prozess. Im Herbst 2016 brach er einen ersten ernsthaften Versuch wegen schlechter Verhältnisse ab. In diesem Jahr stieg er kurz vor der Solobegehung mit Tommy Caldwell seilgesichert durch die Route, um die Bewegungen nochmal zu checken. Dabei stellten sie mit rund fünfeinhalb Stunden einen neuen Speedrekord auf. 

 

Kurz vor dem Tag X seilte Honnold noch einmal über die Route ab, um sicherzustellen, dass alles trocken war und dass die Chalkmarkierungen an den wichtigsten Griffen noch am richtigen Platz waren. Und obwohl er am Einstieg „slightly nervous“ war, stieg er dann souverän und ruhig durch. In einem Gespräch mit dem Bigwaller Mark Synnott antwortete er kurz nach der Begehung auf die Frage, was er wohl als 70-Jähriger seinen Enkeln sagen würde, wenn sie den El Cap sehen: „Kids, um dieses Ding zu klettern, braucht ihr vier Stunden – nach Jahren voller Anstrengung“.

Kletterer aus aller Welt äußerten sich ähnlich beeindruckt wie Tommy Caldwell, der ja selber mit der „Dawn Wall“ weltweit Aufmerksamkeit erregt hatte – der aber auch gemeinsam mit Honnold in begeisterndem Stil das gesamte Fitz-Roy-Massiv in Patagonien überklettert hatte. Ein ganzes Team von Fotografen – und sogar an den heikleren Stellen ferngesteuerten Kameras – hielt die epochemachende Begehung für ein Filmprojekt von „National Geographic“ fest. Für Honnold war die Erfüllung eines jahrelangen Traums dennoch nur ein Schritt, dem weitere folgen sollen: Zunächst möchte er nun versuchen, im Sportklettern den glatten elften Grad zu erreichen. Wobei er das auch als Strategie bezeichnet: „Die ganze Zeit, während ich für den El Cap arbeitete, habe ich daran gedacht, was danach kommt, was mich noch fasziniert. So geht es nicht nur um diesen einzigen Moment, und der große Tag fühlt sich wie ein fast normaler Tag an.“ Und mit 31 Jahren hat er auch noch ein anderes potenzielles Ziel im Blick: „Vielleicht eine Familie zu gründen.“

 

"Angst hilft mir da oben nicht weiter"

Man mag über den Sinn oder gar die Berechtigung des Free-Solo-Kletterns streiten. Das Risiko ist offensichtlich: Ein Fehler ist mit ziemlicher Sicherheit tödlich. „Ich weiß, dass ich beim Free Solo gefährdet bin, aber Angst hilft mir da oben nicht weiter“, sagt Honnold dazu. Und Absturzgefahr besteht auch auf schwarzen Wanderwegen oder auf steilen Firnhängen, die man normalerweise ungesichert begeht, wenn man den Schwierigkeiten gewachsen ist.

 

Das war Honnold bei seiner Begehung gewiss – sofern man das bei grenzwertiger Reibungskletterei sein kann. Jedenfalls ist die Abwägung zwischen Können und Dürfen bei vielen Bergsport-Disziplinen ein wichtiges Element des sportlichen Reizes, etwa beim Alpinklettern oder in traditionell geprägten Klettergebieten wie dem englischen Gritstone oder dem Elbsandstein. Free Solo treibt diese Abwägungssituation auf die Spitze – und gibt die Befriedigung, Herr über die eigene Furcht zu sein. Honnold sagte dazu im Interview: „Ich hatte viel weniger Angst als bei vielen anderen Solos, die ich gemacht habe.“ (Frage) „Bei welchen?“ – „Wahrscheinlich bei allen. In dieses hier habe ich so viel Arbeit investiert. Ich war so gut programmiert. Es gab keine Unsicherheit; ich wusste an jeder Stelle genau, was ich zu tun hatte. Viele der Griffe fühlten sich an wie alte Freunde.“

Deshalb beschränken wir uns darauf, respektvoll den Hut zu ziehen – vielleicht auch für Honnolds Aussage zur Bedeutung seiner Leistung für die Weltgeschichte: „Es ist immer cool, an etwas Schwierigem zu arbeiten und einen Traum zu verwirklichen; vielleicht können Menschen Inspiration aus meiner Aktion ziehen. Aber was die Welt wirklich braucht, ist dass die USA im Pariser Klimabündnis bleiben. Es gibt Wichtigeres als Klettern.“

 

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