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40 Jahre Pumprisse

17.06.2017, 15:40 Uhr

„Auch als Zehnerkletterer muss man sich da gscheit einhalten – jeden Zentimeter musst dir erarbeiten.“ Wenn der Spitzenkletterer Guido Unterwurzacher das sagt, darf man es glauben: Die Pumprisse, die erste Alpentour im offiziellen siebten Grad, sind heute noch ein harter Brocken, der jährlich nicht einmal eine Handvoll Begehungen erhält.


Zum vierzigsten Jubiläum der Erstbegehung am 2.6.1977 veranstalteten die örtlichen Bergführer ein „Koasakletterfestl“ auf der Wochenbrunner Alm an der Südseite des Wilden Kaisers.

Viele der Besucher kannten die Pumprisse aus eigenem Erleben (oder Erleiden) – doch etliche der jungen Kletterer konnten sich wohl gar nicht vorstellen, dass einst der Schwierigkeitsgrad VI+ offiziell die „äußerste Grenze des Menschenmöglichen“ limitiert hatte. Und kaum einer kannte die Geschichte, die zur Überwindung dieser Grenze geführt hatte.

Helmut Kiene hatte die Risslinie am Fleischbankpfeiler im Wilden Kaiser schon 1976 gemeinsam mit Bernd Kullmann erstbegehen wollen, schlechtes Wetter ließ die Aktion dann aber im Münchner Oktoberfest enden (gründlich, laut Kullmann). Im nächsten Jahr wurde ein Attentat daraus: Mit Elmar Landes, dem Schriftleiter der DAV-Mitteilungen (Vorläufer von Panorama), vereinbarte Kiene vorab, einen Beitrag über die Tour zu veröffentlichen. Denn er war sicher, dass sie den siebten Grad fordern würde, und wollte damit für die längst überfällige Öffnung der Skala plädieren. Reinhard Karl ging als Fotograf mit und schoss spektakuläre Bilder. Kienes brillante Argumentation auf einer ganzen Heft-Doppelseite löste eine heftige Diskussion unter den besten Kletterern aus – und letztlich führte sie dazu, dass die UIAA die Schwierigkeitsskala über den verhängnisvollen Grad VI+ hinaus öffnete. 

In den nächsten Jahren schraubte eine junge Kletterergeneration mit gezieltem Training und verbesserter Ausrüstung das Niveau schnell bis in den achten, neunten Grad. Insofern kann man weniger sagen, die Route sei ihrer Zeit voraus gewesen – eher war die Zeit reif für den Schritt aus einer selbstgesetzten Limitierung, die eine Weiterentwicklung gebremst hatte.

Denn schon im ersten Jahr gab es viele Wiederholungen; eine "halbe" durch die Franken Rainer Pickl und Werner Scharl mit einer direkten Variante (A3) im Zustieg (den letzten beiden Seillängen (VII und VII-) wichen sie aus Zeitmangel aus), die erste komplette auf der Originalroute durch die Pfälzer Thomas Nöltner und Andreas Kubin. 

 

Der siebte Grad als Grenze des Menschenmöglichen?

Schon Anfang der 1970er hatte Reinhold Messner in seinem Buch „Der siebte Grad“ auf die Unsinnigkeit hingewiesen, eine „äußerste Grenze des Menschenmöglichen“ definieren zu wollen. 1974 hatte Kurt Albert den ersten „Rotpunkt“ an den Einstieg einer Route im Frankenjura gepinselt, die er geklettert hatte, ohne die steckenden Haken zur Fortbewegung zu verwenden (wie vorher üblich). 

Angeregt dazu hatte ihn ein Besuch im Elbsandstein, wo sich das „freie“ Klettern, also mit Seil und Ringen gesichert, aber nur am Fels greifend und stehend, jahrzehntelang entwickelt hatte. Und viele Kletterer wurden inspiriert von Besuchen in den USA, vor allem im Yosemite Valley, wo das Freiklettern unabhängig zum Mainstream geworden war – britischen und wienerischen Stilvorbildern des späten 19. Jahrhunderts folgend.

 

 

Zum Piazen zu glatt, zum Klemmen zu breit, zum Stemmen zu schmal

Bessere Ausrüstung – Reibungskletterschuhe, Klemmkeile, Multisturzseile – und mehr Zeit zum Trainieren führten in den 1970er-Jahren zu einer Leistungsexplosion im Klettern. Die Pumprisse waren das Ventil, das der latenten Energie zum Ausbruch verhalf.

Kiene und Karl sicherten die Risse nur mit Klemmkeilen – eine heikle Geschichte angesichts der überbreiten Risse, wo selbst der größte „Hexentric #11“ (entspricht ungefähr Camalot #3) kaum irgendwo sicher zu legen ist. 

Heute stecken ein paar Normalhaken, aber selbst mit modernen, übergroßen Camalots (#6 ist angesagt) bleibt die unangenehme, anstrengende Kletterei kühn und anspruchsvoll. Zum Piazen zu glatt, zum Klemmen zu breit, zum Stemmen zu schmal: „Weil wir in den verdammten Rissen gepumpt haben wie die Maikäfer“ begründeten die Erstbegeher die Namensgebung – und gaben damit einen sehr guten Hinweis, in welch unbeschreiblicher, mühsamer Ganzkörper-Kampfkletterei die überhängenden Spalten zu erwursteln wären.

Auch der Schwierigkeitsgrad VII mag zwar im Vergleich zu anderen Kaiser-Rissklettereien korrekt sein – jemand, der in der Halle oder auch im Klettergarten einen Siebener klettert, wird aber trotzdem keinen Meter raufkommen. Was für den Stil der Kletterei gilt wie für die Absicherung – und was für viele „alpine Klassiker“ gilt, wo keine durchgehende Bohrhakenreihe entspanntes Klettern zulässt. 

 

Inspiration für neue Generationen

Umfassende alpine Erfahrung und Kompetenzen, ehrliche Selbsteinschätzung und eine gesunde Portion Mut gehören zur Begehung dieser historisch bedeutsamen und eindrucksvollen „Denkmalrouten“ dazu. Die Kaiser-Führer wollen das Interesse an diesen Touren wiederbeleben und ihren Gästen nahebringen, dass man sich ihnen „von unten“, also über den dritten und vierten Grad, nähern muss.

Guido Unterwurzacher sagte beim „Koasakletterfestl“ auch, er freue sich, „dass die alten Sachen die junge Generation inspirieren“. So steigen heutige Spitzenkletterer ehemalige Technorouten wie die Maukspitze-Westwand (Hermann Buhl -> Guido Unterwurzacher) oder Scheffler-Siegert an der Fleischbank (Roland Hemetzberger) frei, ohne das Originalmaterial durch Bohrhaken zu ersetzen oder ergänzen. Eine Reverenz an den Mut der Altvorderen und eine neue Interpretation des alpinen Abenteuers.

 

Wie viele Festbesucher zu solchen Leistungen fähig wären, bleibt im Verborgenen. Jedenfalls zeigte das große Publikumsinteresse, dass das klassisch-alpine Klettern allen Unkenrufen zum Trotz nicht tot ist – ja, vielleicht sogar in einer sanften Wiederaufwärtsbewegung.